Schützenhilfe für das World Economic Forum

Freitag, 09.06.2023

Mirko Matytschak

Mir ist gerade langweilig und ich stöbere ein wenig im Internet herum. Gibt es vielleicht irgendeinen schrulligen oder ungewollt witzigen Beitrag? Wenn ich so etwas finden möchte, ist eine gute Quelle der Faktenfinder der ARD. Diesmal gibt’s „Fakten“ über die Gegner des Weltwirtschaftsforums.

Stöbert man ein wenig beim Faktenfinder der ARD, stellt sich heraus, dass dort fast ausschließlich ein Autor tätig ist. Das ist Pascal Siggelkow, der durch die Erfindung des pflanzenförmigen Sprengstoffs bereits Mediengeschichte geschrieben hat. Diesmal hat es mir ein Artikel über das Weltwirtschaftsforum und Klaus Schwab, den Begründer des WEF angetan.

Man möchte nun meinen, dass ein Faktenfinder Fakten über das WEF und Klaus Schwab findet, um dann Erzählungen, die gegen diese Fakten sprechen, zu widerlegen. So stelle ich mir Faktenfindung vor. Stattdessen findet man in den Artikeln der Faktenfinder nicht Fakten, sondern neue Erzählungen, die dann von diversen „Fachleuten“ beglaubwürdigt werden.

Gegenerzählungen statt Fakten

In Sachen WEF und Klaus Schwab kursiert nun offensichtlich einiger Unsinn, der aber interessanterweise in dem Artikel nicht widerlegt wird. Stattdessen wird der angeblichen Meinung von abstrakten Verschwörungstheoretikern eine andere Meinung entgegengehalten. Statt konkrete Zitate von konkreten Personen mit konkreten Fakten zu widerlegen, wird angeblichen Erzählungen eine Gegenerzählung entgegengehalten.

Solcherlei Art Meinungsbildung kann keinerlei Überzeugung auf Personen ausüben, die dem WEF und den Ideen des Herrn Schwab kritisch gegenüberstehen, weil sich diese Personen in den angeblichen Erzählungen nicht wiederfinden.

Die Artikel sind dann auch eher für Bekannte oder Familienangehörige gedacht, die sich Sorgen darüber machen, wenn eine Person in ihrem Umkreis gesellschaftskritische Gedanken äußert. Jene sollen Geschichten an die Hand bekommen, um diese umzustimmen und – weil das nicht klappen kann eine Rechtfertigung für die Abwendung von dieser Person zur Hand zu haben. Sind die Faktenchecker am Ende ein Sanktionswerkzeug?

Was ist das WEF?

Ich habe mir gedacht: Was die ARD kann, das kann ich auch. Ich nehme mir Zitate aus dem Artikel vor und kommentiere diese mit meiner eigenen Erzählung.

Die Rede ist vom World Economic Forum (WEF), dem Weltwirtschaftsforum, das jährlich zu einer mehrtägigen Konferenz in der kleinen Schweizer Gemeinde Davos einlädt. Unter den mehr als 2500 Teilnehmern sind sowohl führende Politiker, Wirtschaftsvertreter und Nichtregierungsorganisationen. Für dieses Jahr haben unter anderem Bundeskanzler Olaf Scholz, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ihr Kommen angekündigt. Doch wo so viele einflussreiche Menschen zusammen kommen, sind auch Verschwörungsmythen nicht weit.

Es treffen sich also jede Menge einflussreicher Personen, um sich zu Themen der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auszutauschen, weil… ja… warum eigentlich?

Ziel des Weltwirtschaftsforums ist es nach eigenen Angaben, „den Zustand der Welt zu verbessern“.

Wow. Das sind aber hehre Ziele. Dazu möchte ich einmal eins sagen, und zwar dasselbe, das ich seinerzeit bereits über die Bilderberg-Konferenz gesagt habe:

Die „Verbesserung der Welt“ findet idealerweise in transparenten demokratischen Prozessen statt, an denen nebst der Bevölkerung, um die es geht, die gewählten Vertreter derselben teilnehmen. Es ist nicht hinzunehmen, dass einflussreiche Personen aus der Wirtschaft und Finanzwelt ohne Mandat an der Gestaltung einer Welt frickeln, die auf den Schultern der arbeitenden Bevölkerung lastet – also jener Schicht der Bevölkerung, die an den Prozessen der Weltverbesserung offensichtlich nicht teilhat.

Wo bleibt die Demokratie?

Da wird ein Politikwissenschaftler Jan Rathje zitiert:

Weil die Verschwörungsideologen ohnehin glauben, dass es eine einzige Konfliktlinie zwischen dem „Volk“ und der „Elite“ gibt, interpretieren sie alles genau in diesem Maßstab. Dass Politik jedoch wesentlich komplexer ist, als dass man einfach nur eine Gruppe von mächtigen Menschen zusammenbringt, die dann alle das Gleiche wollen, wird dabei völlig außer Acht gelassen.

Wenn also die demokratischen Institutionen, die zur Gestaltung der Gesellschaft gedacht waren, außen vor gelassen werden, zugunsten der Gestaltung durch eine Elite von 2.500 „führenden Politikern, Wirtschaftsvertretern“ und sonstigen Interessengruppen, wundert sich dann irgendjemand darüber, dass das Bild einer Spaltung zwischen Volk und Elite entsteht?

Wenn das Europäische Parlament einen Kommissionspräsidenten wählt und infolgedessen einfach die nicht gewählte Frau von der Leyen auf diesen Posten gesetzt wird, ist es dann eine Verschwörungstheorie, wenn Teile der Bevölkerung glauben, dass sie keinen Einfluss mehr auf das politische Geschehen haben?

Sie wählen Parteien, deren Vertreter in Parlamenten sitzen, die keinen Einfluss mehr auf die Gestaltung der Gesellschaft haben, weil die tatsächliche Gestaltung auf Konferenzen und in Kommissionen geschieht? Ist das der verbesserte Zustand der Welt, für den der Herr Schwab steht?

Die wollen alle nur das Gleiche!

Aber das Zitat gibt noch mehr her, nämlich die Unterstellung, die Verschwörungstheoretiker würden glauben, dass die mächtigen Menschen auf der Konferenz alle das Gleiche wollen. Ohne eine Verschwörung bemühen zu müssen, gäbe es durchaus ein paar konkrete Dinge, die mir da einfielen, die wahrscheinlich vom Großteil der Teilnehmer der Konferenz gewollt wird. Zum Beispiel die neoliberale Agenda, die sich kurz zusammenfassen lässt:

Privatisierung, Steuererleichterungen und Streichung von Sozialausgaben.

Zitat aus dem Artikel:

Die Mythen zum „Great Reset“ unterschieden sich dabei je nachdem, in welchem Land sie verbreitet werden, sagt Diermeier vom IW. „In Deutschland und Europa ist der Vorwurf an Schwab, dass wir jetzt in ein Zeitalter eintreten, wo der Neoliberalismus die Macht an sich reißt. Wo wir am Ende von Konzernen kontrolliert werden und unsere Freiheit aufgeben müssen.“

Auf welchem Planeten lebt der Herr Diermeier eigentlich? Natürlich treten wir nicht in ein Zeitalter ein, in dem der Neoliberalismus die Macht an sich reißt. Wir befinden uns in einem Zeitalter, in dem der Neoliberalismus fest im Sattel der Macht sitzt, und zwar in Form von konkreten Personen, welche der neoliberalen Agenda anhängen. Und was die Konzerne anbetrifft, so treten wir gerade in eine Phase ein, in der auch die letzten der ursprünglich staatlichen Aufgaben in die Hände von Konzernen gelegt werden.

Es fing mit der Privatisierung öffentlicher Aufgaben wie Transportwesen, Krankenhäuser und Wasserversorgung an. Dieser Prozess ist mehr oder minder abgeschlossen. Jetzt geht es weiter: Aufgaben wie Überwachung und Zensur werden an die Konzerne delegiert.

Die Privatisierung des Staates

Personen, die eine unbequeme Meinung äußern, konnten in den letzten paar Jahrzehnten darauf bauen, dass ihre Meinungsfreiheit von Gerichten geschützt wird, wenn sie Angriffen ausgesetzt waren. Heute werden den Konzernen, die die sozialen Plattformen betreiben, Konsequenzen angedroht, wenn sie nicht selbst für das Eliminieren dieser unbequemen Meinungen sorgen. Die Konzerne wie Meta und Google übernehmen die Zensur und die geschädigten Personen haben keine Chance, die Angelegenheit gerichtlich klären zu lassen.

Oder denken wir an die Schiedsgerichte, die im Rahmen der Freihandelsvereinbarungen mit den USA und Kanada eingerichtet werden sollten. Hier werden Streitigkeiten völlig außerhalb der Gerichtsbarkeit der jeweiligen Länder ausgetragen.

Fahren wir fort mit den Zitaten:

Demnach stimmten 23 Prozent der Befragten der Aussage voll oder eher zu, dass es geheime Organisationen gibt, die großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben. Dass die Medien und die Politik unter einer Decke stecken, stieß sogar bei 26 Prozent auf Zustimmung.

Die Erzählung über die Erzählung von der Heimlichkeit

Wir stoßen hier auf ein Narrativ eines Narrativs. Eine Verschwörung ist nämlich nicht immer geheim. Ich denke, der Nationalsozialismus ist eins der gigantischsten Beispiele für eine Verschwörung, deren Ziele von vorneherein in einem Buch veröffentlicht wurden und von einem klar definierten Kreis an Personen in der Öffentlichkeit angezettelt wurde. Die Folgen sind uns allen bekannt.

Oder nehmen wir den Holodomor, einer von Stalin künstlich inszenierten Hungersnot, der in der Ukraine 1932/33 mehrere Millionen Menschen zum Opfer fielen. Das war klar eine Verschwörung, bei der die verantwortlichen Personen nicht im Geheimen agierten.

Beispiele aus neuerer Zeit wären die militärische Strategie des US-Empire, die in mehreren Büchern und Papers veröffentlicht wurde oder die von Präsident Biden angekündigte Sabotage der Nord Stream Pipelines1.

Diese Erzählung, dass angeblich so viele Menschen daran glauben, dass da irgendetwas Geheimes abläuft2, hat einen Zweck. Der Zweck ist es, Menschen zu diskreditieren, die der Meinung sind, dass es Organisationen gibt, die alles andere als geheim sind, und über ein obszönes Maß an Macht verfügen. Das ist Gegenstand berechtigter Kritik. Und dieser Kritik setzt jetzt ein „Faktenfinder“ in einem Artikel, der völlig ohne Fakten auskommt, folgende Erzählung eines Jan Rathje, Senior Researcher beim CeMAS, der mir bislang völlig unbekannt war, entgegen:

Große Treffen von Menschen, die über Machtressourcen verfügen, eignen sich besonders gut als Zielscheibe für Verschwörungserzählungen, weil dort durchaus wichtige politische Prozesse verhandelt werden.

Den Satz muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Es gibt also große Treffen von Menschen mit nicht unerheblichen Machtressourcen, die verhandeln wichtige politische Prozesse.

Wenn eine Person nun kritisiert, dass die wichtigen politischen Prozesse auf solchen Konferenzen statt in den demokratisch legitimierten Gremien verhandelt werden, dann wird jener Person vorgeworfen, an eine Verschwörung zu glauben. Das ist dann per se verwerflich und diese Verwerflichkeit macht sich an der untergeschobenen Behauptung fest, dass die kritischen Personen hinter diesen vor unser aller Augen stattfindenden Prozessen etwas Geheimes wittern. (Dabei geht es nur um die alte Geschichte von Biedermann und die Brandstifter.)

Und wenn diese untergeschobene Behauptung mal nicht greifen sollte, bleibt immer noch der Vorwurf der Ideologie, oder – um es mit den Worten des Herrn Rathje zu sagen:

Herrschaft müsse sogar kritisiert werden dürfen in einer offenen, liberalen und demokratischen Gesellschaft. „Das Problem ist nur, wenn das Ganze auf einer ideologischen Grundlage passiert.“

Das nenne ich mal eine offene, liberale und demokratische Gesellschaft, in der Herrschaft sogar kritisiert werden dürfen muss. Das Problem ist nur die Ideologie.

________

1 Die Sabotage muss dann nicht notgedrungen von US-Truppen durchgeführt worden sein.

2 Natürlich gibt es Leute, die an die große Verschwörung glauben, vor allem in den Kreisen der Neuen Rechten. Das Narrativ der großen Verschwörungen ist Teil der Kampagnen, die von Leuten wie Steve Bannon ausgehen. In den großen Medien tut man nun so, als ob die Kritik am WEF und dem Great Reset des Herrn Schwab grundsätzlich auf diesem Verschwörungsnarrativ basiert. Das ermöglicht es, den Eindruck zu erzeugen, dass alle Kritk auf einer gemeinsamen, idiotischen Idee basiert. Unter anderem lässt sich dadurch sehr schön die Hufeisen-Theorie aufbauen, die behauptet, dass linke und rechte Positionen Ähnlichkeiten aufweisen.

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