Die Demokratie - und ein Interview mit Putin

Dienstag, 13.02.2024

Mirko Matytschak

Gerade geistert das Interview durch die Medienlandschaft, das ein gewisser Tucker Carlson mit Wladimir Putin geführt hat. Wie konnte er nur?!? Oder konnten wir daraus tatsächlich etwas lernen?

Ohne Zweifel erzählt der Herr Putin in dem Interview jede Menge Unsinn. Der Aufschrei, der daraufhin durch die Welt ging, gipfelte aber oft – zu oft – in der Frage, wie Tucker Carson es zulassen konnte, dass Putin diesen Unsinn – und vielleicht ein paar eher interessante Aussagen – so ungehindert äußern durfte.

Es gibt hierzulande in unserer modernen Postdemokratie den Anspruch an Moderatoren, ihren Gesprächspartnern ins Wort zu fallen, wenn diese Äußerungen tätigen, die …  ja, an dieser Stelle wird es schwierig. Was sind die Kriterien, ab wann ein Moderator unterbrechen soll? Wer soll diese Kriterien aufstellen?1

Ich meine: Wozu lädt man einen Wladimir Putin zum Gespräch ein, wenn man dann nicht hören will, was er zu sagen hat? Das macht keinen Sinn und das hat auch mit Demokratie – wehrhaft oder nicht – nichts zu tun.

Ein Argument zu viel

Im Gegenteil: Putin hat einmal mehr sehr schön gezeigt, wie er tickt. In Sachen Ukraine zeigt er eine Art Überrationalisierung, die mich an einen Witz erinnert, den Sigmund Freud seinerzeit zur Erläuterung der Arbeit des Unbewussten erzählt hat.

Jemand leiht einen Kessel. Nachdem er ihn zurückgebracht hat, stellt der Eigentümer fest, dass der Kessel ein Loch hat. Der Beschuldigte verteidigt sich, dass er den Kessel unbeschädigt zurückgegeben habe und im Übrigen habe der Kessel schon ein Loch gehabt, als er ihn ausgeliehen hat.

Das ist einfach ein Argument zu viel. In Sachen Ukraine ist die Geschichte vom „künstlichen Staatsgebilde“ dieses Argument, das zu viel ist. Es ist Quatsch, und das weiß Putin auch. Aber er bemüht das Argument, weil er nicht klar sagen will, worum es ihm tatsächlich geht.

Seine gesamte Geostrategie wäre in Gefahr, wenn die NATO von der Krim aus beobachten könnte, welches Schiff seiner Schwarzmeerflotte gerade welche Aktionen unternimmt. Und die NATO hätte nicht weit, um präventiv irgendwelche militärischen Operationen zu unterbinden.

Das ist ein ernsthaftes Anliegen, dem der Westen überhaupt keine Bedeutung beimisst. Im Gegenteil: Es ist der Hebel zu einer Provokation, der Putin (aus seiner Sicht) nicht ausweichen konnte. Und nun stehen seit zwei Jahren seine Truppen in der Ukraine, um den Transatlantikern die Begründung für ihre Herzensangelegenheit zu liefern:

Über das EU-Paket an Wirtschafts- und Finanzsanktionspaket gegen Russland sagte Baerbock: „Das wird Russland ruinieren.“

Ob die Sanktionen nun Russland oder Deutschland mehr Schaden zufügen, wäre ein Thema für einen eigenen Beitrag.

Die Demokratie, die uns so viel Wert ist

Zurück zu Putin: Ohne dieses Interview hätten wir nicht die Klarheit, mit der wir auf Putins Argumentation schauen können. Und auch nicht den Blick darauf, womit er nicht herausrücken will: Dass er Angst hat, dass er seine Schwarzmeerflotte zu nichts mehr gebrauchen kann.

Wenn es darum geht, warum sagt er das nicht? Wer hier nun die typische Kreml-Propaganda wittert, dem sei gesagt, dass die Äußerung dessen, was wirklich zählt, politische Karrieren beenden kann. Ich erinnere nur an den Ex-Bundespräsidenten Köhler, der offen darüber sprach, dass die Bundeswehr im Ausland den Zugriff auf Rohstoffe und Handelswege sichere.

Demokratie heißt, dass die Bevölkerung weiß, wofür die Bundeswehr im Ausland steht (oder warum sie dort nicht steht). Demokratie heißt, zu wissen, was Leute wie Putin denken, welche Argumente sie anführen und letztlich: Die Schulung der Fähigkeit, zu beurteilen, ob das Unsinn ist oder nicht.

Und dafür können wir Tucker Carson danken: Dass er uns daran erinnert, dass die Bevölkerung nicht von „schädlichen“ Inhalten ferngehalten werden muss, sondern dass die Menschen lernen, Inhalte selbständig zu beurteilen.

Update: Jetzt kommen natürlich die Einwände, wie ich dazu komme, Tucker Carlson zu danken, wo er doch alles andere als ein Demokrat ist. Auf n-tv wird er als „scharf rechts“ beurteilt. Seine Art zu denken, zeigt sich uns durch Zitate wie dieses:

Es tut mir leid, aber Führung erfordert das Töten von Menschen. Deswegen möchte ich auch kein Staatsoberhaupt sein.

Das tut mir auch leid, sogar sehr leid, und daher gehöre ich zu den Leuten, die finden, dass Staaten nicht von Führern geleitet werden sollen, für die das Töten Tagesgeschäft ist.

Für Leute wie mich ist es interessant, zu verstehen, wie solche Typen (Carlson und Putin) funktionieren und was eine Gesellschaft tun kann, damit nicht noch mehr solche Typen entstehen. Und zu diesen Gedanken liefern diese Typen selbst das Material. Man muss es nur lesen dürfen.

Was wir dagegen tun können? Zum Beispiel sollten wir vermeiden, die Scharfmacherei von Leuten wie Friedrich Merz zu bewundern. Kinder und Jugendliche müssten die Fähigkeiten entwickeln, die nötig sind, zu erkennen, auf welch unterirdischem Niveau sich Merz und Konsorten bewegen.

Wenn sie das können, dann können sie auch beurteilen, ob Putins oder Carlsons Aussagen Unsinn sind. Der Rest ergibt sich von alleine. Niemand muss irgendetwas von der Bevölkerung fernhalten. Die einzige echte Gefahr, die der Demokratie droht, ist das Heranzüchten von Schäfchen, die glauben, was ihnen die Autoritäten sagen.

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1 Falls hier jemand mit dem „Gesunden Menschenverstand“ argumentieren möchte: Ich habe neulich einen Vortrag von Paul Watzlawick aus den 80ern gehört. Sehr schön, wie er darin die Nähe des „Gesunden Menschenverstands“ zum „Gesunden Volksempfinden“ formuliert. Das ist definitiv nicht die Lösung.

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