Bilderberg und die Verschwörung

Samstag, 11.06.2016

Mirko Matytschak

Ich stolpere gerade über dieses Interview. Es ist erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit die Kritik an den Bilderberg-Konferenzen in die Ecke der Verschwörungstheoretiker gestellt wird. Dabei geht es um nichts Geringeres als die Demontage dessen, was von der Demokratie übrig ist.

Das Interview in n-tv wurde mit einer Frau Kimminich geführt, Kulturwissenschaftlerin an der Uni Potsdam. Sie sagt:

Gerade bei rechten Gruppierungen wie beispielsweise Pegida wird gerne von Mächtigen gesprochen, die den Mainstream beherrschen und darüber die Bevölkerung einer Gehirnwäsche unterzogen haben. Anti-Amerikanismus mischt sich mit Islamophobie und Antisemitismus.

Wir wissen, dass es solche Gruppierungen gibt und dass sie solcherlei Gedanken denken. Niemand kann etwas dafür, dass die sich gerade mit der Bilderberg-Konferenz beschäftigen. Aber in dem Interview wird das Pferd von hinten aufgezäumt. Zäumt man es von vorne auf, muss man sich erst einmal zwei Fragen stellen:

  • Was ist die Bilderberg-Konferenz?
  • Welchem Zweck dient sie?

Dann kann man sich überlegen, ob eine Kritik an dieser Art an Veranstaltungen angebracht ist. Und wenn sie angebracht ist, dann sollte man tunlichst vermeiden, was in dem Interview geschieht, nämlich die Kritik in die Nähe der Verschwörungstheoretiker und Antisemiten zu rücken. Das ist zwar eine gängige politische Taktik, sie führt aber nicht notwendigerweise dazu, in der politischen Diskussion für voll genommen zu werden.

In das Horn der Verschwörungstheorie stößt auch die Süddeutsche Zeitung. Zitat:

Je weniger über bestimmte Ereignisse kommuniziert wird oder Informationen darüber vorliegen, desto mehr neigen die Menschen dazu, anzunehmen, dass es da um irgendetwas Geheimes geht, was sie nicht wissen sollen", sagt Eva Kimminich der Deutschen Presse-Agentur. Die 59-jährige Professorin lehrt Kulturwissenschaften an der Universität Potsdam…

Gibt es eigentlich in Deutschland keine Person, die sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigt? Gibt es wirklich nur die Frau Kimminich?

Was ist die Bilderberg-Konferenz

Die Geschichte der Konferenz könnt Ihr in oben genanntem Artikel in der SZ nachlesen.

Executive Summary: auf den Bilderberg-Konferenzen treffen sich Vertreter großer Finanzinstitute und der Industrie mit Mandatsträgern verschiedener westlicher Länder. Über die Inhalte der Konferenz herrscht absolutes Stillschweigen. Einzig eine Agenda wird veröffentlicht.

Ich hätte da noch eine Frage an Frau Kimminich: Welchen anderen Grund, als dass man etwas Geheimes bespricht, könnte es dafür geben, dass über die Vorträge und Gespräche auf der Konferenz Stillschweigen vereinbart wird? Ich meine: Warum filmt man die Vorträge nicht und stellt sie im Internet zur Verfügung, damit alle Menschen sehen können, mit welchem Ernst und welcher Hingabe unsere politische, wirtschaftliche und mediale Elite sich den Problemen der Weltgeschichte widmet?

Eine solche im Geheimen abgehaltene Konferenz geht völlig in Ordnung, wenn die Mandatsträger Kraft göttlicher Vorsehung zur Herrschaft über ein Land bestimmt sind. Aber bei uns werden Mandate durch Wahlen vergeben und die Bevölkerung hat einen Anspruch auf Kontrolle der Aktivitäten der Mandatsträger, soweit sie Entscheidungen über die Politik unseres Landes betreffen. Und die Agenda der Konferenz zeigt, dass die Themen durchaus politische Relevanz haben:

  • Current events
  • China
  • Europe: migration, growth, reform, vision, unity
  • Middle East
  • Russia
  • US political landscape, economy: growth, debt, reform
  • Cyber security
  • Geo-politics of energy and commodity prices
  • Precariat and middle class
  • Technological Innovation

Welchen Zweck dient die Konferenz

Also: Hochrangige Politiker aus westlichen Demokratien besprechen zusammen mit einer elitären Gruppe von Medienvertretern, Bankvorständen und Industriemanagern Themen der internationalen Politik. Und zwar völlig an den üblichen, transparenten demokratischen Prozessen in den Parlamenten vorbei.

Wenn die Annahme, dass bestimmte Kreise hier gezielt Einfluss auf hohe Mandatsträger nehmen wollen, bereits als Verschwörungstheorie gilt, so muss ich gestehen, dass ich die Fragen der Demokratie dann lieber von diesem Standpunkt, als von einem der „Kulturwissenschaft“ diskutiere.

Wo könnte man besser unverblümt die Interessen der Wirtschaft in der Politik platzieren, als auf einem Event, auf dem man sich mit einflussreichen Politikern austauschen kann, ohne befürchten zu müssen, dass diese Einflussnahme öffentlich wird?

Einflussnahme

Ich meine: Aus Sicht der Unternehmen ist die Demokratie schwerfällig und kostspielig. Also schafft man Events und Gremien, auf denen man ungestört seine Interessen durchsetzen kann: Es wird im Geheimen über TTIP diskutiert und danach ein Riesen-Konglomerat an Vereinbarungen aufgesetzt. In dem Konglomerat findet sich dann das Konstrukt eines Schiedsgerichts, welches nationale Verordnungen außer Kraft setzen kann, wenn es die Aktivitäten von Unternehmen stört. Und wir kennen ja die US-Position: Es wird kein TTIP-Light geben, sprich: Das Konglomerat soll im Ganzen unterzeichnet werden oder gar nicht.

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz wird eben mal die internationale Sicherheit durchgehechelt, mit der Folge von lukrativen Aufträgen für die Militärindustrie.

Wenn die Öffentlichkeit Wind von diesen Gesprächen bekommt, dann passieren immer so unerquickliche Dinge, wie die Proteste gegen Stuttgart 21, jahrelange Diskussionen um den Verlauf einer Bundesstraße und ähnliches mehr. Das ist Demokratie, das stört und das muss weg. Das ist der eine Hauptzweck solcher Veranstaltungen wie der Bilderberg-Konferenz.

Der zweite Hauptzweck scheint mir in einer besonderen Art von Vernetzung zu liegen.

Auf der diesjährigen Konferenz sind folgende deutsche Medien vertreten:

  • Axel Springer
  • ProSiebenSat.1
  • Gruner & Jahr

Die ZEIT war jahrelang vertreten, sogar doppelt, weil der langjährige Mitherausgeber Helmut Schmidt als Politiker sehr häufig geladen war. Dieses Jahr scheint es bei der ZEIT nicht geklappt zu haben. Macht aber nichts, wie wir später sehen werden.

Die Gruppe Politiker, die sich dieses Jahr mit Vertretern aus Industrie und Finanzen vernetzen darf, sind

  • Ursula von der Leyen
  • Thomas de Maizière
  • Wolfgang Schäuble
  • Stanislaw Tillich

Wenn ich der SZ glauben darf, war auch Angela Merkel eingeladen.

Hatte den Herrn Tillich jemand auf dem Zettel? Es heißt ja von den “Verschwörungstheoretikern”, dass auf den Bilderberg-Konferenzen Karrieren in der Politik geformt werden. Das kann man glauben oder nicht. Oder man schaut sich die Fakten an:

Einflussreiche Politiker wie Bill Clinton, Barack Obama (just die der Finanzindustrie besonders zugewandten Präsidenden der Demokratischen Partei), Christine Lagard, Margaret Thatcher, Toni Blair, José Manuel Barroso, Helmut Schmidt, Helmut Kohl, Angela Merkel haben an Bilderberg-Konferenzen teilgenommen, bevor sie ihre Ämter innehatten.

Aber was zur Hölle hat ein Ministerpräsident eines Bundeslandes auf einer Konferenz über internationale Politik zu suchen? Geht ihm gerade die Arbeit in der Bildungspolitik aus?

Vernetzung

Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um sich vorstellen zu können, dass auf einem Treffen, an dem die größten Finanzinstitute der Welt mit Vertretern einflussreicher Presseorgane und vielversprechenden Politikern zusammenkommen, mal der eine oder andere Satz über eine politische Karriere gesprochen wird. Ist das so abwegig?

Wir müssen dabei gar nicht so weit gehen, zu behaupten, die Bilderberg-Konferenz sei eine Art Königsmacher-Konferenz. Ich glaube eher, dass sich Eliten schon immer mit ihresgleichen vernetzt haben – das ist in Politik und Wirtschaft nicht anders, als im Adel. Nach wie vor haben studentische Verbindungen regen Zulauf. Das Motiv ist klar: von den Kontakten irgendwann einmal zu profitieren.

Die Bilderberg-Konferenz ist aus meiner Sicht eine hervorragende Plattform für Vernetzung. Und deshalb kommen auch nicht immer die gleichen Leute (bis auf ein paar Ausnahmen). Das wäre im Wortsinn idiotisch. Es kommt darauf an, das Netzwerk zu vergrößern und frühzeitig vielversprechende politische Kräfte einzubinden.

Wie wäre es, wenn wir alle mal ein wenig darauf schauen, wie es dem Herrn Tillich in der nächsten Zeit so ergeht? Er hat eine tolle Chance erhalten: Einen Zugang zu einem Netzwerk von wirklich einflussreichen Personen.

Update 01.11.16: Das folgende Zitat aus einem Artikel über Hillary Clintons Politik für die Reichen und Einflussreichen zeigt sehr schön, wie das mit den Netzwerken funktioniert:

Podesta war damals der Chef der Übergangsteams von Barack Obama. Unter anderem gehörte es zu seinen Aufgaben, Personalvorschläge für das künftige Kabinett des neuen Präsidenten zu machen, der zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gewählt war. Citigroup-Banker Michael Froman war so freundlich, Podesta ein paar Vorschläge zu übermitteln. Dies seien Namen, "die von verschiedenen Quellen für hochrangige Posten empfohlen werden", schrieb er. Überraschend viele seiner Vorschläge wurden angenommen. Wer die E-Mails lese, stelle fest, dass die Leute aus der Oberschicht sich alle kennen, so der "Guardian". "Sie sind alle ständig damit beschäftigt, ihre Karrieren gegenseitig voranzubringen."

Der Guardian äußert sich hier zu Informationen aus geleakten Mails, die einen interessanten Einblick in "die Seele der Demokratischen Partei" (Guardian) geben.

Update Ende

Achtung, Nebelkerze

Und damit wären an dem Punkt angekommen, warum die gesamte Presse Nebelkerzen nach dem Motto „Verschwörungstheoretiker protestieren gegen die Bilderberg-Konferenz“ werfen. Die möchten, dass die Leute glauben, es wäre eine Art geheimer Weltregierung, die sich da in Dresden trifft. Das ist der Grund, warum Frau Kimminich so plötzlich prominent wird. Die Weltregierungs-Nebelkerze führt dazu, dass jemand, der die Bilderberg-Konferenz in Frage stellt, direkt als Spinner dargestellt werden kann, während die multinationalen Konzerne mit Hilfe eines engen Netzwerks von Presse, Banken, Politik und Wirtschaft das demontieren, was von der Demokratie noch übrig ist.

Und Ihr könnt anhand der „Expertin“ Kimminich* sehr gut die Mechanismen nachvollziehen, wie eine solche Desinformation in der Presse lanciert (siehe Linkliste) und auch von denen veröffentlicht wird, die gar nicht so häufig auf der Bilderberg-Konferenz erscheinen. Das Netzwerk funktioniert ohne die Konferenz. Aber die Bilderberg-Konferenz erleichtert die Dinge erheblich.

Wer möchte die Diskussion über Bilderberg ernsthaft dem rechtspopulistischen Pöbel und den selbsternannt „antifaschistischen“ Hooligans in unserem Land überlassen? Es geht hier gar nicht um esoterische Spinner, die überall Beweise für die Etablierung der Neuen Weltordnung sehen.

Es geht darum, Demokratie zu fordern und dem Klüngel, der sich auf der Bilderberg-Konferenz und sonstigen Karriere-Events trifft, seine Schranken aufzuzeigen.

Update 19.11.18

Was Herrn Tillich anbetrifft, so hat er seine Chance nicht genutzt. Es ist interessant zu sehen, in welcher Weise solche Karrieren dann beendet werden:

Getreu dem Schiller-Wort „vom sichern Port lässt sich's gemächlich raten“ übte Ex-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (87!) in einem „Zeit“-Interview vernichtende Kritik an Tillich und seinem Führungsstil.

Danach war der Mann wohl nicht mehr zu halten. Eine solche Vernetzung ist kein Selbstläufer.

Linkliste

Folgende Medien haben das Interview mit Frau Kimminich dupliziert (Schnellrecherche auf Google):

n-tv

Der Tagesspiegel

Sueddeutsche

Spiegel

mdr

20 Minuten

Sputnik

L'essentiel

In einem ähnlichen Kontext, ohne Frau Kimminich

die ZEIT

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* Es geht hier übrigens nicht gegen Frau Kimminich. Sie ist Expertin für Verschwörungstheorien und keine Expertin für Politologie. Eben weil sie sich zum Thema Bilderberg gar nicht sachlich äußert, ist sie die Person der Wahl für diese Kampagne. 

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