Das nachträgliche Argument gegen Taurus

Sonntag, 03.03.2024

Mirko Matytschak

Die Freunde der Rüstungslobby in der Politik wettern gegen die Entscheidung von Herrn Scholz, keine Taurus-Raketen an die Ukraine zu liefern. Scholz sei widerlegt, heißt es. In die Diskussion darüber platzt die Nachricht über ein abgehörtes Gespräch.

Bundeskanzler Scholz lehnt eine Lieferung von Taurus-Raketen an Russland ab und beweist damit eine Weitsichtigkeit, die ich Politikern allgemein nicht zugetraut hätte. Er lehnt die Lieferung mit der Begründung ab, dass das System von deutschen Soldaten bedient werden müsste, was diese Soldaten zu Kombattanten im Krieg zwischen Russland und der Ukraine machen würde. Das könnte aus Sicht Russlands als Kriegseintritt Deutschlands gewertet werden.1

Natürlich haben die üblichen Verdächtigen, die diesem Kriegseintritt so nahe wie möglich kommen möchten, also Frau Strack-Zimmermann und Herr Kiesewetter, die Argumentation von Herrn Scholz unmittelbar als „widerlegt“ bezeichnet, noch bevor sich Experten zu diesem Thema äußern konnten. Denn immerhin geht es mit der Verlängerung des Krieges, die durch die Raketen eventuell möglich wäre, um jede Menge Umsatz für die beteiligten Rüstungsunternehmen, für deren Interessen Frau Strack-Zimmermann und Herr Kiesewetter im Bundestag sitzen.2

Die abgehörte Diskussion von Offizieren der Bundeswehr gibt nun Scholz im Nachhinein Recht. Die Offiziere äußern sich in dem Gespräch zwar nicht direkt in dem Sinn, dass deutsche Soldaten in der Ukraine diese Systeme bedienen müssten. Sie diskutieren, ob die Ukraine es mit ihrem eigenen Personal überhaupt schaffen kann, bestimmte Ziele zu zerstören, wie zum Beispiel die Krimbrücke oder Munitionslager auf russischem Boden.

Die Taurus-Flugkörper sind nicht einfach Silvesterraketen, die in einem Rohr stecken und mit einer Lunte gestartet werden. Diese Systeme müssen von Experten programmiert werden. Dazu braucht es eine lange Ausbildung, oder – Experten vor Ort. Und genau darum geht es: Ohne diese Experten geht es nicht und die Offiziere sprechen offen über militärisches Personal anderer Länder, das in Zivil in der Ukraine unterwegs ist.

Scholz spricht genau dieses Thema in seiner Ablehnung an, was ihm einen Rüffel von Großbritannien wegen Geheimnisverrats einbringt. Dieser Rüffel ist eine Art Geständnis: „Wir machen das, jeder weiß das, aber darüber spricht man nicht“. Und da kommt nun Russland mit dem abgehörten Gespräch daher3, nur um zu zeigen, dass auch die Russen es wissen.

Denkt nun einmal das Thema zu Ende. Es würde mich wundern, wenn jemand nach Benutzung seines Gehirns das Thema Taurus nicht für beendet erklären würde. Was mich erstaunt, ist die Tatsache, dass Herr Scholz das wohl irgendwie hat kommen sehen. Was mich nicht wundern würde, wäre die Tatsache, dass die Spezialexperten der Rüstungslobby im Bundestag einfach weitermachen mit der Forderung, dass wir doch dringend Taurus liefern müssen, weil die Ukrainer die Systeme ganz bestimmt alleine bedienen können.

Denn wenn diese selbsternannten Militärexperten sich auf eins verlassen können, dann auf die Unfähigkeit der breiten Bevölkerung, ein paar Gedankengänge zu Ende zu denken: Sie haben nämlich selbst jahrelang in Regierungsverantwortung auf diese Unfähigkeit hingearbeitet.

Aber da irren sie sich wohl ein weiteres Mal. Denn eine Mehrheit der Deutschen hat den Braten gerochen und ist gegen die Lieferung.

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1 Ein Gedankenstrang, den ich hier nicht weiterführen möchte, geht in die Richtung: Was würde eigentlich passieren, wenn man Deutschland (oder einem NATO-Land mit nennenswertem Verteidigungsbudget) diese Kriegsbeteiligung nachweisen könnte? Würde sich Russland tatsächlich trauen, Deutschland anzugreifen? Ich glaube das erst einmal nicht. Aber es hinge davon ab, ob durch die Beteiligung eine Situation einträte, in der Russland nichts mehr zu verlieren hätte. Gott bewahre uns vor diesem Realitätszweig, wenn es schon unsere Politiker nicht tun.

2 Es lässt sich zumindest ganz klar sagen, dass sie nicht für die Interessen des „Deutschen Volkes“ dort sitzen. Denn dann wären sie nicht so daran interessiert, Deutschland in gefährliche Nähe einer Kriegsbeteiligung zu rücken. Ansonsten ergibt sich meine Aussage durch vollständige Induktion.

3 Das ist im Übrigen eine schöne Antiwerbung für Cisco’s WebEx: Dass deren angebliche Ende-zu-Ende-Verschlüsselung als „unsichere Leitung“ betrachtet werden muss. Zitat aus der Presse:

Fakt ist aber, dass die Teilnehmer ziemlich unvorsichtig waren. Für das virtuelle Meeting wurde keine abhörsichere Leitung, sondern die Plattform WebEx genutzt.

Krass ist, dass die zumindest hätten wissen müssen, dass sie von ihren „Freunden“ aus den USA abgehört werden.

Eine schöne Verschwörungstheorie wäre es übrigens, wenn man behaupten würde, Amerikaner hätten den Russen den Gesprächsmitschnitt durchgesteckt. Mir fällt nur keine richtige Motivation dafür ein. Um das nochmal klar zu sagen: Ich halte das für extrem unwahrscheinlich.

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