Viele Menschen glauben – an die Propaganda

Donnerstag, 22.02.2024

Mirko Matytschak

Beim Durchblättern von n-tv sehe ich gerade eine Überschrift: Viele Russen glauben, Russland sei demokratischer als Deutschland. Ich spiele jetzt mal den Advocatus Diaboli und frage: Was wäre, wenn das tatsächlich wahr wäre?

Wir wissen natürlich alle, dass das russische Propaganda ist. Aber zugegebenermaßen haben die Presse- und Propagandafritzen in Moskau wohl einen guten Job gemacht. Wenige Tage nach dem Tod von Alexei Nawalny finden immer noch eine Menge Russen, dass Deutschland noch weniger Demokratie hat?

Was wäre, wenn das Ausmaß an Demokratie in Deutschland und Russland für die Meldungen in den Medien hüben wie drüben völlig irrelevant wäre? Was wäre, wenn es um unsere Demokratie ganz schlecht bestellt wäre und wir nur glauben würden, dass es bei den Russen noch schlechter ist? Und die Russen lachen darüber und sagen: Warum wehren sich nicht mehr Deutsche gegen ein solches System?

Was wäre, wenn man in Russland einem Präsidentschaftskandidaten nach dem anderen nachweisen könnte, dass er eine Marionette eines Staates unserer westlichen Wertegemeinschaft sei und er deshalb von den Wahlen ausgeschlossen würde: Würden wir im Westen überhaupt erfahren, dass dieses Thema im Raum stand? Nicht dass ich jetzt glauben würde, dass der Westen zu einer solchen Einmischung in der Lage wäre.

Und damit ist auch nicht gesagt, dass ich das jetzt testen möchte, indem ich nach Russland umziehe. Versteht mich nicht falsch. Ich bin unsere Demokratiesimulation so gewohnt, da möchte ich mich auf meine alten Tage nicht mehr umstellen müssen.

Aber es stellt sich schon die Frage: Woher weiß eigentlich der durchschittliche Bundesbürger, was in Russland genau passiert? Wenn die zu guter Propaganda in der Lage sind, dann sind wir doch bestimmt besser, oder? Ich meine: Immerhin sind wir der Westen!

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Klarstellung

Der oben stehende Text will nicht suggerieren, dass in Russland irgend etwas besser ist, als hier. Ich weiß aus sicheren Quellen, dass die Meinungsfreiheit dort sehr begrenzt ist und die Bürger verdammt aufpassen müssen, mit welchen Äußerungen sie in die Öffentlichkeit gehen, weil sie sonst eine Verhaftung und einen Prozess riskieren.

Das ist bei uns definitiv besser. Aber die Tatsache, dass ich mich zu dieser Klarstellung genötigt sehe, zeigt, dass die Wächter über die korrekte politische Aussage hierzulande bemüht sind, den Vorsprung, den Russland in der Begrenzung der öffentlichen Meinung innehat, so schnell wie möglich aufzuholen. Man kann hierzulande auch bereits wegen Äußerungen, die unsere Regierung delegitimieren, angeklagt werden. Der rechtliche Rahmen dafür ist geschaffen.

Soweit zu dem Thema, was dieser Text nicht will. Aber was will ich dann mit diesem Text? Ich will zum Nachdenken anregen, darüber, was wir wirklich wissen. Oder von der anderen Seite gesehen: Was übernehmen wir einfach in unser Meinungsbild, ohne darüber nachzudenken, woher wir die Information eigentlich haben. Ich möchte zu Gedankenexperimenten anregen.

Das obige Gedankenexperiment lässt sich relativ leicht zu einem klaren Ende bringen. Wir könnten im Internet nachschauen, welche russischen Blogger kritische Beiträge über Putin schreiben. Wir wissen, dass die Russen mitbekommen, dass bei uns eine Menge Kritik an der Regierung unterwegs ist. Das gehört zu unserer Kultur, die sich in den letzten 75 Jahren hier etabliert hat und die hoffentlich nicht abgeschafft wird.

Wir auf der anderen Seite erfahren nichts über Russen, die kritisch über ihre Regierung berichten. Das ist jetzt ein bisserl doof, aber ich kann kein Russisch und kann das nicht überprüfen. Aber ich gehe davon aus, dass – wenn es denn eine weitgehende Meinungsfreiheit in Russland gäbe – es russischsprachige Menschen hierzulande gäbe, die uns darauf hinweisen könnten. Und ich glaube, ich würde das mitbekommen.

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