Eine unerträgliche Diskussion
Mittwoch, 17.07.2024
Ich bin aus Zufall über ein Video gestolpert, in dem eine „Diskussions“-Runde gezeigt wird. Die Diskussion erschöpft sich darin, dass eine glühende Putin-Hasserin den Herrn Laschet zutextet. Ich bin entsetzt.
Das Video ist geschnitten und mit Texteinblendungen ergänzt worden, von einer Person, die ich nicht kenne und deren sonstige Meinungen ich möglicherweise nicht teile. Aber der Schnitt dieses Videos ist gut gemacht und auch notwendig, weil das Video sonst unerträglich wäre.
Die Quantität der Argumente
Es diskutiert die Frau Anja Kohl, bekannt als Moderatorin für Börsennachrichten, mit Armin Laschet, dem Kanzlerkandidaten der Union bei der letzten Bundestagswahl.
Diskutieren ist gut gesagt. Die Frau Kohl lässt den Herrn Laschet nicht zwei Sätze aneinanderreihen und überschüttet ihn in einer unglaublichen Redegeschwindigkeit mit ihrem Geschwurbel1.
Dankenswerterweise erhöht der Videoschnitt die Geschwindigkeit an diesen Stellen, damit die Zuschauer angesichts ihrer auswendig gelernten und heruntergeratterten Texte nicht die Geduld verlieren. Dabei wollte der Herr Laschet genau darüber reden: Über die Diskussionskultur in Deutschland, besser gesagt: über ihr Fehlen.
Die Frau Kohl ist da ein super Beispiel, wie es nicht geht. Sie unterbricht ihn ständig, rattert die gesammelten Gräueltaten Russlands herunter und versteigt sich zu der Aussage, dass anderen Meinungen keine Plattform gegeben werden solle. Wobei ihr eine Definition vorschwebt, was alles Meinung genannt werden darf – und was eben nicht.
Das Gespräch dreht sich eine Weile um das BSW und die Frau Wagenknecht. Dabei erklärt der Herr Laschet der Frau Kohl in einem Satz die Demokratie:
Ich bin nicht der Meinung der Frau Wagenknecht, aber ich setze mich dafür ein, dass sie sie äußern darf.2
Darauf kommt eine sehr interessante Entgegnung von Frau Kohl. Die Frau Wagenknecht äußere nicht etwa eine Meinung, sondern „falsche Fakten“. Und das solle man unterbinden. Entschuldigung, aber da muss ich jetzt einmal einschreiten – wenn’s nicht gar eine Blutgrätsche braucht.
Über falsche Fakten
Zunächst einmal sollte Frau Kohl ein wenig Unterricht in angewandter deutscher Sprache nehmen. Da würden Sie möglichweise lernen, dass das Wort Fakten ähnlich dem Wort „Wahrheit“ nicht relativierbar ist. Es gibt keine falschen und richtigen Fakten, es gibt nur Fakten – oder eben ihre Abwesenheit5.
Sie kann je nach Gusto sagen: Frau Wagenknecht benutze falsche Zahlen, ihre Behauptungen ließen sich nicht durch Fakten belegen oder sie zitiere unseriöse Quellen. Aber Fakten sind Fakten. Und wo wir gerade dabei sind: Ein und derselbe Fakt kann zu unterschiedlichen Meinungen führen.
Frau Kohl bezieht sich mit ihrem „falsche Fakten“-Vorwurf auf eine Talkshow von Maybrit Illner, in der Frau Wagenknecht und eine Frau Major eingeladen waren. Frau Wagenknecht behauptet in der Diskussion, Deutschland gäbe im Jahr 90 Mrd. Euro für Rüstung aus. Die Frau Major kontert mit den Worten: „Ich glaube, dass ich ein anderes Verhältnis zu Fakten habe, als Sie“. Für sie sind es 72 Mrd. Euro.
Die von Frau Major vorgetragenen 72 Mrd. Euro für Rüstungsausgaben mögen dem einen zu wenig und dem anderen – zum Beispiel mir – zu viel sein3. Das ist Meinungsbildung. Ihr versteht, worauf ich hinaus will: Ein Fakt, mehrere Meinungen.
Was das „andere Verhältnis“ der Frau Major zu Fakten anbetrifft, so können wir uns in 1 Minute ein Bild davon machen. Spoiler: Frau Wagenknechts Zahl stammt – wie von ihr angegeben – von der NATO und ist die offizielle Meldung der Rüstungsausgaben Deutschlands für 2024.
Wie viele Soldaten sind gefallen?
Kommen wir zum Verhältnis der Frau Kohl zu den „richtigen Fakten“ zurück, auf die sie ihre Meinung offensichtlich baut. Aus ihrer Sicht hat Frau Major die „richtigen Fakten“ und Frau Wagenknecht die „falschen Fakten“. Ich verweise noch einmal auf das kurze Video, das diese Einschätzung geraderückt.
Aus Kohls sonstiger heißen Luft greife ich nur eine Behauptung heraus, nämlich, dass Russland seine Soldaten an der Front verheize.
Die einzigen Zahlen, die diese Behauptung stützen, sind die von Herrn Selensky. Das ist natürlich eine hochseriöse Quelle für „richtige Fakten“. Der spricht von 500.000 toten russischen Soldaten und ca. 30.000 ukrainischen. Interessanterweise verkehren russische Medien diese Zahlen ziemlich exakt ins Gegenteil. Seriöse Beobachter des Krieges schätzen die Verluste beider Parteien etwa gleich hoch ein und lagen vor ein paar Wochen bei knapp 100.000 Gefallenen auf jeder Seite.
Ich könnte jetzt die Quelle heraussuchen, aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist die Diskussionskultur. Frau Kohl rattert ihre auswendig gelernten Behauptungen wie ein Maschinengewehr herunter und nimmt weder wahr, was Herr Laschet sagt, noch nimmt sie irgendeine Rücksicht darauf, dass am Tisch noch zwei weitere Personen als Dekoration und ein Moderator sitzen.4
Der hilflose Moderator hat völlig die Kontrolle verloren, während Herr Laschet die wenige Zeit, die ihm bleibt, nutzt, um Frau Kohl zu sagen, dass er ihre Meinung teilt und dass sie ihm diese Meinung nicht noch einmal im Detail referieren muss.
Ein Auftritt wie von religiösen Fanatikern
Kohls Auftritt hat einen fanatisch religiösen Charakter. Das hat nichts mehr mit ruhigem Abwägen von Argumenten zu tun, wie es der Herr Laschet zum Beispiel tut. Wer die Geschehnisse anders sieht als sie, muss falschen Information aufgesessen sein und die Verbreitung dieser falschen Informationen solle verhindert werden.
Am Ende meint sie – eigentlich sarkastisch gemeint:
„Ich brauch ein bisschen länger, weil ich bin ja ein bisschen blöd“.
Niemand in der Runde widerspricht, und auch ich habe nichts gegen ihre Selbsteinschätzung einzuwenden. Denn wer nur noch in seiner eigenen Suppe schmort und die Standpunkte der anderen Personen nicht mehr hören kann, entwickelt tatsächlich mit der Zeit eine gewisse Beschränktheit.
Man kann froh sein, dass die Frau Kohl nur für die 5 Minuten Börse vor Acht zuständig ist und hoffen, dass sie sich durch diesen Auftritt nicht für „höhere“ Aufgaben empfohlen hat.
Solche quasi-religiösen Fanatiker sind Gift für jede Diskussion und damit für die Demokratie. Und mit ihrer Forderung, andere Meinungen als „falsche Fakten“ von der Diskussion auszuschließen, steht sie den Feinden der Demokratie, wie zum Beispiel einem Herrn Höcke, in nichts nach.
________
1 Der Begriff Geschwurbel ist nicht erst während der Corona-Zeit geprägt worden. Er ist dann angebracht, wenn jemand mit der schieren Fülle an Argumenten den Kontrahenten in einer Auseinandersetzung die Chance nimmt, in angemessener Zeit darauf zu reagieren.
2 Der Satz wird Voltaire zugeschrieben: „Ich bin zwar anderer Meinung als Sie, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie Ihre Meinung frei aussprechen dürfen.“
3 Da hilft es, zu betrachten, wie sich die Zahlen in den letzten Jahren entwickelt haben. 2019 hatte die Bundesrepublik einen Rüstungsetat von 42 Mrd. Eur. Dagegen erscheinen bereits die 72 Mrd. Euro der Frau Major ziemlich viel. Die Zahl geht übrigens auf den Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2024 zurück. Davon abgesehen, hat Deutschland der NATO für das laufende Jahr 90,6 Mrd. Euro gemeldet. Die Bundeswehr als Quelle dieser Information dürfte nicht von Frau Wagenknecht beeinflusst sein…
4 Diese Art der Gesprächsführung erinnert mich an die Agitation der K-Gruppen in den 70er und 80er Jahren. Das war mir damals schon suspekt und damals wie heute glaube ich nicht, dass das irgendwelche Erfolge verspricht.
5 Ein Leser merkt an, dass es aus seiner Sicht sehr wohl falsche Fakten gibt und nennt als Beispiel die präsentierten Fakten zu den angeblichen Massenvernichtungswaffen im Irak.
Wenn jemand behauptet, Irak hätte Massenvernichtungswaffen und trägt diese Vorwürfe in einem Vortrag wortreich und bebildert im UN-Sicherheitsrat vor. Und nennt Quellen. Da werden mobile Labore für biologische Kampfstoffe behauptet und dazu Satellitenfotos gezeigt. Wenn das keine falschen Fakten sind, dann weiß ich auch nicht.
Wie ja Herr Powell später zugegeben hat, war nichts davon wahr. Ich bleibe dabei: Auch wenn sie es wie Fakten präsentiert haben, waren es keine Fakten.
Das Perfide daran war, dass sie auf diese Weise zitierfähige Aussagen geschaffen haben, die wie Fakten herumgereicht wurden. Aber am Ende bleibt eine simple Aussage: Sie haben gelogen. Wir lernen daraus: Glaubt nicht alles, was Euch als Fakten präsentiert wird. Ich weiß: Das ist in seiner Konsequenz bedrückend. Aber das ist der realistische Umgang mit Leuten, die die Macht haben.
Ein weiteres Beispiel desselben Lesers waren die angeblichen Fakten der Leute, die am menschengemachten Klimawandel zweifeln. Hier sind wir nicht im Bereich der Lüge, sondern im Bereich des Glaubens.
Wir können nicht jede Aussage bis ins letzte Detail überprüfen. Da fehlen oft auch die Quellen. Also müssen wir bestimmte Dinge einfach glauben. Ich persönlich glaube Dinge, die mir plausibel erscheinen. Ich hantiere hier mit Wahrscheinlichkeiten. Und die können sich durch neue Informationen durchaus verschieben. Nun ist die Schwelle zwischen Glauben und Wissen nicht bei allen Menschen gleich hoch. Deshalb erscheinen uns manche Aussagen als völlig absurd.
Der Glaube hat aber auch eine religiöse Dimension. Und hier verhindert der Glaube die Aneignung des besseren Wissens. Je tiefer und glühender dieser Glaube, umso schlechter funktioniert die Aufnahme neuer Impulse, die einen Perspektivwechsel ermöglichen würden. Er ist das Gegenteil der Offenheit. Und damit sind wir zurück bei Frau Kohl.
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