Die Menschheit wird untergehen

Donnerstag, 07.01.2021

Mirko Matytschak

Die Menschheit wird untergehen. Das steht fest. Nein, nicht zu einem bestimmten Datum und auch nicht durch eine biblische Apokalypse. Einfach durch den alltäglichen Umgang mit der Realität.

Allein der Fakt, dass knapp die Hälfte der Amerikaner einen Mann wie Donald Trump als Präsidenten wählen kann, als mächtigsten Mann der Welt. Ich weiß, man kann gute Gründe dafür angeben, die einfachen Menschen, die schlechte Bildung und so.

Aber Tatsache ist, dass eine Menge Leute, die reich und gebildet sind und es daher besser wissen müssten, ihn unterstützt haben. Das Resultat kann man gerade in Amerika beobachten.

Deduktion

Der Untergang der Menschheit ist unvermeidbar, weil die Menschen verlernt haben, ein paar einfache Gedankengänge, zu einer Kette zu verbinden. Fakten und/oder Bullshit werden vereinzelt in den Raum geworfen und erhalten dadurch gleiche Gültigkeit, so dass sie sich nicht auf Basis eines "Common Grounds" bewähren müssen.

Die Fähigkeit, die verloren gegangen ist, ist die Deduktion. Wer eine These äußert, sollte sich vorher einmal ein paar Gedanken machen.

  1. Wohin führt es, wenn ich die These weiterdenke?
  2. Entsteht ein Widerspruch zu Theorien, die den "Common Ground" in der Sache bereiten, über die ich die These äußere?

Wenn ein Widerspruch zum "Common Ground" besteht, dann sollte ich meine These überprüfen. Dazu sollte ich aber erst einmal den Common Ground kennen. Dann kann ich immer noch sagen, dass das Blödsinn ist und warum. Damit beginnt ein Diskurs. Ich sollte offen dafür sein, dass andere Personen vielleicht gute Argumente gegen meine These vortragen. Ich sollte offen sein, meine These zu überdenken.

Der simple Kern

Im Fall einer Epidemie ist der zentrale Gedankengang die Ausbreitung. Von ihr hängen alle weiteren Gedankengänge ab. Eine Person steckt durchschnittlich n andere Personen an. Somit entsteht eine neue Generation von Infizierten. Die durchschnittliche Zeit zwischen den Generationen beträgt T Tage.

Das ist der simple Kern der Epidemiologie. Alles weitere, das die Epidemiologie ausmacht, kann per Deduktion aus diesem Kern abgeleitet werden – zumindest was den Bereich der Abschätzung anbetrifft, wie sich eine Epidemie in der Folgezeit ausbreiten wird.

Natürlich wirft die Auseinandersetzung mit diesem Modell einige Fragen auf. Zum Beispiel, wie wir am Besten diese Zahlen n und T bestimmen (Meldeverfahren, Datenhandling, etc. pp.). Und wie Maßnahmen wie Abstand, Händewaschen, Lüften, Masken etc. diese Werte beeinflussen.

Oder: was denn die Konsequenz aus einer massenhaften Ansteckung ist. Ist es ein Schnupfen, der wieder vergeht, oder führt eine Ansteckung bei einem bestimmten Prozentsatz der Bevölkerung zum Tod? Wieviele Menschen brauchen Intensivbehandlung? Die Fragen dürften Euch mittlerweile hinlänglich bekannt sein.

All diese Fragen – und die hier nicht gestellten – können auf Basis des einfachen Kernmodells betrachtet werden. Es ist gar nicht so leicht, eine solch simple Tatsache als Kern eines Modells mit eigenen Thesen herauszufordern.

Deine Wahrheit, meine Wahrheit

Warum ich glaube, dass die Menschheit untergehen wird, ist die Tatsache, dass es einen Common Ground des Bullshit gibt, nämlich die Behauptung, dass jeder seine eigene Wahrheit hat. Und während die simple Betrachtung mit n Ansteckungen in T Tagen "meine" Wahrheit ist, können andere Menschen die Thematik auf völlig andere Weise betrachten und dadurch zu anderen Schlüssen kommen.

Hat sich irgendjemand eigentlich mal überlegt, wie man in dieser Welt der alternativen Fakten einen Konsens herstellen könnte? Wenn man diesen Ansatz zu Ende denkt, dann kommt man auf ein Bild der Menschheit, die sich in Blasen organisiert, in denen jeweils ähnliche Wahrheiten akzeptiert werden. Mit den anderen, die in anderen Koordinatensystemen zu Hause sind, kann die Blase nicht mehr sprechen. "Das ist halt Eure Wahrheit." Da kann man nichts machen.

Ich kann bei den Menschen, die meine Wahrheit bei mir belassen wollen und mit der ihren glücklich sind, übrigens keine Punkte machen, indem ich erkläre, dass der Begriff Wahrheit eine solche Privatisierung gar nicht zulässt. Eine Wahrheit, die für mich, aber nicht für andere gilt, ist keine Wahrheit. Leute, Ihr müsst Euch einen anderen Begriff dafür suchen.

Die Zerstückelung menschlicher Erkenntnis

Wenn ich mir das recht überlege, so hat hat diese Zerstückelung menschlicher Erkenntnis letztlich dazu geführt, dass die Psychologie als Wissenschaft nicht mehr ernst genommen wird. Man hat alle Versuche, die Funktionsweise der Psyche in einem zusammenhängenden Modell zu beschreiben, in die Tonne getreten. Statt dessen wird ausschließlich auf die Empirie gesetzt, was in der Praxis heißt: auf irgendwelche Bullshit-Studien, die gut zur Unterhaltung in Zeitungen und Zeitschriften taugen, aber wenig zur Lösung der vielfältigen Probleme taugen, denen sich die Menschheit gegenüber sieht.

Jede so gewonnene Erkenntnis kann für sich stehen und das Zentrum eines Koordinatensystems einer privaten Meinung darstellen – "meine Wahrheit" halt. Und weil auf diese Weise jeder alles behaupten kann und sich nicht darum scheren muss, ob sich nicht vielleicht Widersprüche mit den Erkenntnissen der Anderen ergeben, wird die Psychologie nicht mehr ernst genommen.

Wie Wissenschaft nach meinem Dafürhalten aussehen sollte? So:

Deduktion

Der Zustand der psychologischen "Wissen"schaft führt dazu, dass in der gegenwärtigen Diskussion um die Pandemie die Mathematiker, die eine Modellrechnung mit einem exponentiellen Verlauf einer Epidemie abliefern können, und die Epidemiologen, die ihre Schlüsse daraus ziehen können, die Oberhand in der Diskussion haben.

Da kann man jetzt über die Machtverhältnisse in der Wissenschaft jammern, aber diese Situation haben sich die Geisteswissenschaften selbst bereitet. Es wird eine Weile dauern, bis sie da wieder herauskommen.

Und in der Zwischenzeit werden wir alle störben, erstickt am Bullshit.

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