2% des BIP für Rüstung?

Sonntag, 14.03.2021

Mirko Matytschak

Ein Gespenst geht um in Europa. Nein, es ist nicht der Kommunismus, sondern der Schwachsinn. Es zeigt sich, dass allein in Deutschland 520 von 650 Abgeordnete den Dreisatz nicht beherrschen. Das hat katastrophale Folgen.

Seit Jahren wird in der Politik immer wieder die Selbstverpflichtung der NATO-Mitgliedsstaaten auf die Tagesordnung gehoben, 2% des Bruttoinlandprodukts (BIP) für den Verteidigungshaushalt zur Verfügung zu stellen.

Das ist natürlich völliger Schwachsinn und eine Irreführung der Bevölkerung. Denn 2% klingen nach sehr wenig. Aber das BIP ist unsere gesamte Wirtschaftsleistung. Dazu zählt jeder Euro, der für irgendeine Ware oder Dienstleistung in Deutschland in einem Jahr umgedreht wird. Das ist also kein Geld, das wir ausgeben können.

Es gibt keinen in irgendeiner Weise gerechtfertigten Grund, die Militärausgaben als Prozentsatz des BIP anzugeben, außer dem einen, dass der Prozentsatz sehr gering klingt, während es in Wirklichkeit eine gigantische Summe Geldes ist, die hier ins Militär fließen soll.

Der Dreisatz

Nun bin ich Euch den Dreisatz schuldig. Ich lege die Zahlen von 2019 zugrunde, weil die Zahlen für 2020 noch nicht vollständig vorliegen.

Das BIP betrug 2019 3.400 Mrd €. 2% von dieser Summe sind 68 Mrd €. Unser Bundeshaushalt, also die Gesamtsumme des Geldes, das der Bund pro Jahr ausgeben kann, beträgt 356 Mrd €.

Das heißt: 2% des BIP sind 19% des gesamten Bundeshaushalts. Aus dem Bundeshaushalt wird alles bestritten, was wir im Land brauchen: Straßen, Bahnen, Bildung, Wissenschaft, Gesundheit, Soziales, Ernährung, Infrastruktur für Energie, etc.pp.

Unsere Steuereinnahmen betragen nur die 356 Mrd. €, und damit muss alles bestritten werden. 2019 wurden 42,6 Mrd € für Rüstung ausgegeben, das sind knapp 12% des Haushalts. Das ist eine ungeheure Summe. Aber das ist den Verfechtern der erhöhten Rüstungsausgaben bei weitem nicht genug. Diese 42 Milliarden Euro sind nämlich nur 1,25% des BIP. Sie wollen, dass wir aus diesem Haushalt über 25 Mrd € mehr für Rüstung ausgeben.

Das heißt, dass für die anderen Bereiche des Haushalts 25 Mrd € weniger zur Verfügung stehen, wenn man nicht durch Steuererhöhungen von mindestens 7% diese Mehrausgaben wieder ausgleicht.

Die Experten der seriösen Finanzierung

Gerade die Politiker der Union und FDP sind ja immer sehr schnell mit dem Argument: „Wie wollt Ihr das finanzieren“ zur Stelle und unterstellen schnell einmal eine „unseriöse Finanzierung“. Aber für die 2% sind sie alle. Sie erzählen Euch nicht, dass sie Euch 7% mehr Geld aus der Tasche ziehen wollen, wenn nicht weitere Bibliotheken, Schwimmbäder, Bahnstrecken, Schulen und Kliniken geschlossen werden sollen ­– von einer Aufstockung der Gelder für eine bessere Meldeinfrastruktur für Epidemien einmal ganz abgesehen.

1/5 der gesamten Steuereinnahmen der Bürger sollen in Rüstung fließen. Dabei haben wir keine unmittelbaren Feinde in der Nachbarschaft. Russland, das seit Jahrzehnten etwa 1/10 des Militärbudgets der NATO zur Verfügung hat, dürfte nicht als große Bedrohung wahrgenommen werden.

Die Militärausgaben hängen wie ein Parasit am Reichtum unserer Gesellschaft und verhindern, dass das Geld in längst notwendige Infrastruktur fließt. Stattdessen landen die Gelder bei irgendwelchen großen Unternehmen, die offensichtlich bei 520 Abgeordneten im Bundestag erfolgreiche Lobbyarbeit betrieben haben.

520 Abgeordnete? Ihr glaubt es nicht? Seht selbst.

Die Fraktion Die Linke ist mit ihrer Forderung nach einer Abkehr Deutschlands vom sogenannten Zwei-Prozent-Ziel der Nato gescheitert. Der Bundestag lehnte den entsprechenden Antrag (19/445) am Donnerstag, 8. November 2018, in namentlicher Abstimmung mit 520 Stimmen gegen 128 Stimmen bei zwei Enthaltungen gemäß der Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses (19/1033) ab.

Der gleiche Beitrag nennt namentlich folgende Politiker, die sich in ihren Redebeiträgen zum 2%-Ziel bekannt haben:

  • Henning Otte (CDU/CSU)
  • Dr. Fritz Felgentreu (SPD)
  • Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP)
  • Rüdiger Lucassen (AfD)

Die Redebeiträge der Linken und der Grünen äußern sich kritisch zum 2%-Ziel, wobei letztere ja durchaus für den einen oder anderen Krieg zu haben sind.

Unsere Frau Krampp-Karrenbauer hat, nachdem sie als Vorsitzende der CDU gescheitert und auf dem Posten der Verteidigungsministerin geparkt worden war, gleich einmal ins selbe Horn gestoßen. Mit Kompetenz in Rüstungsfragen hat diese Forderung schon einmal nichts zu tun.

Frau Merkel hat für 2024 1,5% zugesagt, mit Steigerungen in den Folgejahren, ohne ein konkretes Ziel zu nennen, wann sie denn bei 2% angelangt sein will. Damit hat Jens Stoltenberg ein großes Problem:

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sichert derzeit allerdings 1,5 Prozent bis 2024 zu. […] "1,5 Prozent sind nicht zwei Prozent", sagte Stoltenberg dazu. Er gehe davon aus, dass Deutschland die zwei Prozent weiter anstrebe. "Zumal Deutschland allein wegen seiner wirtschaftlichen Größe eine sehr wichtige Rolle hat."

Interessant auch, dass solche Artikel nicht hinter der Paywall der ZEIT versteckt sind. Ihr dürft also alle an den Ausführungen des Herrn Stoltenberg kostenlos und ungekürzt teilhaben.

Wie will man dieses Phänomen noch verstehen, wenn nicht mit einer grassierenden Form von Schwachsinn? Ihr findet den Begriff Schwachsinn beleidigend? Nun, die einzig mögliche andere Erklärung dafür klingt nicht besser: Korruption. Persönliche Vorteilsannahme – in Form von Geld oder Karriereaussichten – durch ein bestimmtes Abstimmungsverhalten.

Sucht es Euch aus. Oder schickt mir Ideen für weitere Erklärungsversuche. Ich weiß es doch auch nicht.

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