Die weiße Fahne des Papstes

Montag, 11.03.2024

Mirko Matytschak

Der Papst hat ein paar weise Worte gesprochen. Er fordert Friedensverhandlungen und spricht aus, was sich viele denken, aber kaum jemand mehr zu sagen traut: Dass man auch mal die weiße Fahne hissen muss, um das Töten zu beenden.

Die Reaktion ist eine Welle der Empörung, die durch die Medienlandschaft schwappt. Wie kann er nur? Dass die Olivgrünen das nicht so gut finden, daran mussten wir uns in den letzten zwei Jahren gewöhnen. Auch die Partei mit dem C im Namen, dessen Bedeutung unter ihren Mitgliedern offensichtlich völlig unklar ist, stimmt in den Chor ein:

In der Unionsspitze gibt es deutliche Kritik am Appell von Papst Franziskus zu Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland. „Durch das Hissen von weißen Flaggen ist in der Ukraine nichts gelöst, ganz im Gegenteil“

In der SZ lese ich zu meinem Erstaunen:

Mit einem missverständlichen Appell zu Friedensverhandlungen in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Papst Franziskus massiven Widerspruch ausgelöst.

Ich belehre ungerne angebliche Christen über zentrale Aussagen des Christentums. Aber was bitteschön ist an dem Satz

Du sollst nicht töten

missverständlich? Wie könnte ein Christ anders reagieren, als in Verhandlungen einzutreten, die diesen Krieg beenden?

Jeder von uns weiß, dass die russische Armee in der Ukraine einmarschiert ist. Die haben also angefangen. Wie soll man in solchen Situationen reagieren? Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Aber für Christen gibt es einen Leitfaden dafür:

Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin!

Aber angebliche Christen wie der Herr Söder wollen Christus lieber ans Kreuz geschlagen in einer Amtsstube hängen haben, als dass sie seine Worte zu verstehen versuchen. Ich zitiere mich selbst:

Aber so naiv war Christus nicht. Was er gemeint hat, liegt auf der Hand: „Überlege die Folgen“. Was passiert, wenn Du zurückschlägst? Wird sich Dein Gegner das gefallen lassen? Wird die Fehde auf die gesamte Familie ausgedehnt? Wird sie von Generationen ausgetragen? Wie viele Menschen werden leiden und sterben, wenn Du jetzt zurückschlägst?

Krieg als Erfolgsgeschichte?

Der Krieg ist jetzt zwei Jahre alt und nicht nur Militärexperten beginnen zu verstehen, dass in dem Krieg kein Blumentopf zu gewinnen ist. Weder für die Ukraine, noch für Russland. Ihr könnt unendlich viele Waffen dorthin schicken, oder euch von Herrn Macron persönlich in dem Krieg verheizen lassen. Es wird nichts ändern.

Ich habe schon vor zwei Jahren die Ähnlichkeit dieses Konflikts mit dem Syrienkrieg erwähnt. Der hat 12 Jahre gedauert (und ist noch nicht beendet), vor allem, weil „der Westen“ gemeint hat, dass das Problem Assad heißt und weg muss. Es wirkt nicht so, als sei der Krieg in Syrien eine Erfolgsgeschichte.

Auch das Engagement von Truppen in Afghanistan und die ganzen Drohnentötungen der USA haben nichts gebracht. Bevor Ihr darüber nachdenkt, ob ein dritter Weltkrieg machbar wäre: Könnt Ihr nicht mal über die Erfolglosigkeit Eurer Kriegsspiele nachdenken und aufhören, diejenigen als Idioten und  Putins Propagandawerkzeug zu bezeichnen, die finden, dass ein Waffenstillstand und Verhandlungen der bessere Weg wären?

Mit Putin sei das nicht zu machen, sagt Ihr? Wessen Propaganda plappert Ihr hier nach?

Forderung nach Frieden ist Putins Propaganda?

Ich bin mir bewusst, dass viele Menschen eine andere Meinung zum Thema Ukrainekrieg haben, als ich. Das können wir so stehen lassen. Was mir allerdings zunehmend Sorgen bereitet, ist die Diffamierung und Ausgrenzung derjenigen, die finden, dass man reden statt schießen soll.

Und das geht jetzt so weit, dass die angeblich katholische Frau Strack-Zimmermann sich plötzlich für den Papst schämt, weil der seine Schäfchen an eins der zehn Gebote und an eine Leitlinie Christi erinnert. Darf ich als Externer Euch bellizistischen Christen daran erinnern, dass Ihr selbst den Papst als unfehlbar bezeichnet?

Ich verstehe, wenn Ihr das nicht so seht, denn das deckt sich mit meiner Ansicht zum Thema Unfehlbarkeit. Aber an einer Tatsache kommen wir nicht vorbei: Der Papst ist eine der wenigen Personen auf der Welt, von der wir mit Sicherheit annehmen können, dass sie

  • nicht im Auftrag von russischen Medien handelt,
  • nicht von Putin persönlich befehligt wird,
  • und kein Geld von Russland für seine Aktivitäten nötig hat.

Und dennoch fordert er den Frieden, ohne dass eine der beiden Parteien diesen Krieg für sich entscheidet. Wenn der Papst das kann, können das andere Leute auch. Und jetzt könnt Ihr mal überlegen, ob die wirklich alle von Russland gesteuert sind.

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Update: Ich werde zurecht darauf hingewiesen, dass der Herr Scholz vor ein paar Tagen von einer Audienz beim Papst zurück kam. In einer umgekehrten zeitlichen Reihenfolge hätte sich Herr Scholz auf den Papst berufen und auf die Weise ein paar Punkte bei den Katholiken (außer bei A. Strack-Zimmermann) sammeln können. So läuft es auf eine nachträgliche Billigung heraus.

Aber man kann das auch anders herum sehen: Es kann ja sein, dass der Herr Scholz in echten inneren Nöten um die Audienz angefragt hat. Die Taurus-Frage steht ja schon länger im Raum. Und das brachte eventuell das Fass zum Überlaufen, sodass sich der Papst genötigt sah, die Eskalation des Tötens in Europa kritisch zu kommentieren.

Der Gedanke kommt bei mir seltsam an, dass mit Scholz just ein Mann, der an wirtschaftlich induzierten Erinnerungsstörungen leidet, unser Land vor der Verwicklung in einen neuen großen Krieg bewahren soll. Man traut es ihm nicht wirklich zu.

Update: Zum gleichen Thema hier übrigens ein guter Artikel von jemandem, der offensichtlich mit dem Papst mehr anfangen kann, als ich.

Update 13.03.24: Der Tagesspiegel fasst die Reaktionen aus der Politik auf die Papst-Äußerungen zusammen. Es zeigt sich deutlich, dass die Kritik am Papst wesentliche Bestandteile der christlichen Lehre vom Tisch wischt.

Man kann die Kritiker in zwei Gruppen einteilen:

  1. Diejenigen, die Verhandlungen mit dem Aggressor ablehnen
  2. Diejenigen, die meinen, der Papst hätte nur Verhandlungen und nicht die Kapitulation gemeint

Wer Verhandlungen grundsätzlich ablehnt, zum Beispiel, weil man mit Putin nicht reden könne, ist kein Christ. Die tragen Sonntags vielleicht ihren Hut in die Kirche, aber mit christlichen Werten hat das nichts zu tun.

Der zweiten Gruppe sei gesagt, dass der Papst genau das gemeint hat. Nehmen wir mal die Reaktion von Ursula von der Leyen als Beispiel:

Die Menschen in der Ukraine wünschten sich Frieden, sagte sie. Es müsse aber „ein echter, ein gerechter Frieden sein“ und „keine Okkupation“. Frieden könne es in dem Moment geben, in dem Präsident Wladimir Putin die Waffen niederlege. „Er ist der Aggressor“.

Soweit ich das beurteilen kann, kennt die christliche Lehre keinen Unterschied zwischen echtem und unechtem Frieden. Sie kennt nur den Unterschied zwischen Krieg und Frieden und zieht den Frieden vor. Auch ist mir kein Zitat von Christus bekannt, mit der Aufforderung, dass nur der Aggressor die Waffen niederlegen müsse.

Jedes Kind lernt im Religionsunterricht, wie sich Christen gegenüber einem Aggressor verhalten sollen. Die Aufforderung, keinen Widerstand zu leisten und dem Angreifer auch die andere Wange hinzuhalten, hat bereits bei uns Kindern zu Irritationen geführt, sodass unsere Lehrer sich ziemlich strecken mussten, um uns das zu erklären.

So etwas kann man nicht vergessen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass auch nur ein Politiker / eine Politikerin diese Diskussion nicht irgendwann geführt hat und sich daran nicht erinnern kann. Die ganze Empörung ist also nur dick aufgetragen.

Es gibt in den Reaktionen doch einige angebliche Katholiken, die sich für die Äußerung des Papstes schämen. Denen sei der Austritt aus der Kirche nahegelegt. Denn der Papst hat ihnen gezeigt, dass sie im Widerspruch zu grundlegenden Werten ihrer eigenen Religion stehen.

Kommentare

2 Kommentare zu diesem Beitrag

xmxx · 12.03.2024 · Direkter Link

Und Marie-Agnes Flak-Zimmermann ist wieder mal an vorderster Front. Die radikalste religiös-bellizistische Kraft seit sich die Menschheit eine Kombination von Taliban:innen und Kreuzritter:innen vorstellen kann. Was mich so bestürzt, ist, dass ihre Aussagen ungefiltert durch die Medien gedroschen werden. Dazu noch der Panzer-Toni und andere Geisterfahrer. Ich verstehe nicht, warum die Menschen nicht zu Millionen, wie damals zum NATO-Doppelbeschluss, auf die Straße gehen, wenn sie diese Hasardeure hören.

Ach ja, ganz nebenbei:  Die, die eine Ausweitung des Krieges schon 2022 befürchtet hatten, wurden nicht ernst genommen. Jetzt kommt raus: die USA befürchteten sehr wohl einen Atomschlag Russlands in der Ukraine.

https://www.n-tv.de/politik/Bericht-USA-befuerchteten-2022-russischen-Atomschlag-article24794363.html

Ich krieg langsam Angst, was hier passiert. Bisher dachte ich, irgendwie bleibt der Krieg schon begrenzt, schlimm genug, dass er jetzt schon über zwei Jahre geführt wird. Aber NATO-Truppen sollen jetzt in die Ukraine entsendet werden, nein, sie sind schon vor Ort, und die Einpeitscher machen weiter. Was bisher gefordert wurde, ist dann mit etwas Verzögerung auch immer geliefert worden. Mit ernster Miene wollen "Experten" und Politikant:innen die Menschen in einen neuen großen Krieg in Europa führen, scheint mir. Krieg wird in Europa wieder führbar gemacht. Vor zwanzig Jahren noch undenkbar, selbst in Zeiten des kalten Krieges war das undenkbar. Ich kann nur hoffen, dass bald eine weiße Fahne gehisst wird.

Mirko · 13.03.2024 · Direkter Link

@xmxx: Es erinnert stark an die Zeit vor dem ersten Weltkrieg. Die Presse hat damals eine Stimmung geschaffen, in der der Frieden als Belastung, der Krieg als Erlösung empfunden wurde. Das Ergebnis ist uns allen bekannt.

Warum passiert das alles? Ich fürchte, dass es in der NATO Leute gibt, die meinen, dass jetzt ein guter Zeitpunkt wäre, einen Krieg gegen Russland zu führen. Man zieht die Daumenschrauben an, bis Russland nicht mehr anders kann, als NATO-Territorium anzugreifen. Dann heißt es wie 1945: „Seit 5:45 Uhr wird zurückgeschossen“. Ich hoffe inständig, dass es zu dieser Haltung auch gewichtige Gegenstimmen gibt.