Der Krieg und die Dummheit der Pazifisten - Teil 3

Sonntag, 31.07.2022

Mirko Matytschak

Durch meine vergangenen Beiträge in diesem Blog ist bei dem einen oder anderen Leser der Eindruck entstanden, mir ginge es eher um die Interessen Russlands, als um die Interessen der Ukraine. Keines von beiden ist der Fall. Es geht mir um die Menschen. Und darum, was passiert, wenn keiner nachgibt.

Wir haben hier im Land eine Mehrheitsmeinung, die durch Medien lautstark gestützt wird. Diese Meinung sieht die Schuld an dem Angriffskrieg gegen die Ukraine alleine bei Russland. Richtig ist: Russische Truppen sind in die Ukraine einmarschiert, um einen lange schwelenden Konflikt im Sinn Russlands kriegerisch zu lösen. Das ist eine Katastrophe und hat unbestreitbar eine Menge Leid erzeugt.

„Die Weltgemeinschaft“ (wer immer das auch ist) darf nichts unversucht lassen, dass dieser Krieg beendet wird.

Der Punkt, an dem ich von der Mehrheitsmeinung abweiche, ist, dass ich sage: Dieser Krieg muss sofort beendet werden. Und dann muss in Verhandlungen ein Interessenausgleich geschehen, damit ein dauerhafter Frieden möglich ist.

Da sagen nun viele: „Das ist mit Putin nicht möglich“. Mal ist Putin krank, mal verrückt, mal ist er einfach nur ein seelenloser Kriegsherr, mit dem man nicht verhandeln kann. Viele sagen: „Man darf ihm auf keinen Fall irgendein Zugeständnis machen, weil das ein Ausdruck der Schwäche ist“. „Putin versteht nur die Sprache der Stärke“.

Ich frage: Wollt ihr das nicht noch einmal überdenken?

Welche Bündnisse will die Ukraine?

Ich habe im Vorfeld einmal versucht, zu erklären, was Russland in der Ostukraine überhaupt sucht. Da geht es um den Zugang zum Schwarzen Meer und zu den Einrichtungen der Schwarzmeerflotte.

Ich habe dargestellt, wie es zu diesem Konflikt gekommen ist und habe dargelegt, dass zweimal ein gewählter Präsident, der einen an Russland angelehnten politischen Kurs verfolgte, von demonstrierenden Massen aus dem Amt gejagt wurde.

Im Gegensatz zu meiner Darstellung wird von den großen Medien das Argument in Umlauf gebracht, ein Land solle selbst entscheiden können, welche Bündnisse es eingeht.

Das ist eine ziemlich simplifizierende, wenn nicht gar populistische Aussage, die bei einfachen Gemütern den Eindruck erwecken könnte, ein Land wäre eine Person mit einer unteilbaren Meinung. Das ist aber nicht der Fall. Man muss sich schon die Frage gefallen lassen, welche Personen dann den Herrn Janukowitsch zweimal ins Amt des Präsidenten gewählt haben.

Fakt ist, dass es einen Teil der Bevölkerung gibt, der bei Wahlen eine Mehrheit mobilisieren konnte und der eine Anlehnung an Russland wünscht*. Fakt ist ebenso, dass es einen anderen Teil der Bevölkerung gibt, der 2006 und 2010 keine Mehrheit mobilisieren konnte, aber es geschafft hat, in Kiew so viele Demonstranten zu mobilisieren, dass diese russlandfreundliche Politik nicht durchsetzbar war. Und dass es Kräfte gab, die dieser Entwicklung mit Snipern auf den Dächern von Kiew Vorschub geleistet haben.

Und jetzt beantworte mir einer die Frage, welche Bündnisse „die Ukraine“ eingehen will. Die Antwort wird sich stark unterscheiden, je nachdem, in welchem Landesteil man fragt. Meine Aussage zu diesem Thema ist, dass die Ukraine im Gesamten weder von einer prowestlichen noch von einer russlandfreundlichen Regierung regierbar ist. Das Land ist zutiefst gespalten.

Es lässt sich relativ leicht erraten, was die politischen Ziele Russlands in diesem Konflikt sind. Sie wollen einen Streifen Land im Osten des Landes in ihrem Einflussbereich halten, sodass dort keine NATO-Truppen stehen.

Die ukrainische Regierung hingegen will die Integrität der Grenzen des Landes wahren, was ein ebenso verständliches Interesse ist.

Es stellt sich nur die Frage, wie sie den Osten des Landes zu einem Kurs mit EU und NATO bewegen will, zumal, wenn sie die Verwendung der russischen Sprache in dieser russischsprachigen Region verbietet.

Soweit in aller Kürze der Hintergrund zu meinen folgenden Überlegungen.

Ein zweites Afghanistan…

In den USA beobachtet man den Krieg mit Interesse aus sicherer Entfernung und sorgt mit massiven Waffenlieferungen dafür, dass den Russen ein zweites Afghanistan bereitet wird. Kommentare dieser Art hat es in den ersten Tagen nach dem Einmarsch der russischen Truppen zuhauf gegeben. Die meisten davon wurden in der Zwischenzeit zurückgezogen, weil ihr Zynismus offensichtlich Ärger erregt hat.

Die ukrainische Regierung schwingt Kriegsrhetorik und phantasiert, dass sie die Russen nicht nur aus den Gebieten in der Ostukraine vertreiben will, sondern auch aus der Krim. So sehr mir das Schicksal der Ukraine am Herzen liegt, so sehr sehe ich natürlich, wie absurd diese Äußerung in einer Zeit ist, in der die russischen Truppen im Osten der Ukraine langsam aber sicher Geländegewinne verzeichnen.

Alles, was „dem Westen“, also den Ländern, die die USA in ihrer Weltmachtpolitik unterstützen, einfällt, ist eine Kombination aus Sanktionen und dauerhaftem Krieg in der Ukraine, um Russland im Lauf der Jahre auszuhungern.

…ein zweites Syrien

Der „Erfolg“ dieser Taktik lässt sich in Syrien betrachten. Man weiß ja, dass Präsident Assad dort mit Russland kooperiert. Anders herum: Die Russen unterstützen ihn militärisch gegen all die Parteien, die direkt oder indirekt von den USA finanziert werden, um Assad zu stürzen**. Wie viele Jahre Krieg, wie viele Jahre Leid musste die Bevölkerung dort über sich ergehen lassen, nur für – ja, für was denn? Für das Ziel, dass Russland den Einfluss auf Syrien verliert. Aber wozu? Wofür soll das gut sein? Wen stört russischer Einfluss auf den syrischen Präsidenten?

Vielleicht gibt es irgendjemanden, der mir triftige Gründe dafür nennen kann. Aber was ist mit der Bevölkerung in Syrien?

Wie lange soll das gehen?

Und nun geht es zurück zur Ukraine. Wie viele Jahre Krieg, wie viele Jahre Zerstörung muss die Bevölkerung in der Ukraine erdulden, bis entweder Putin begriffen hat, dass er nicht bekommen kann, was er mit Mitteln des Kriegs erstreiten wollte? Oder bis der Westen sagt: Es ist genug, wir ziehen uns jetzt zurück? Da kann ja jetzt jeder von euch eine Zahl in den Ring werfen.

Ich weiß, dass das Nachgeben in diesem Fall wirklich eine schwere Entscheidung ist. Mit Verhandlungen den Krieg zu beenden bedeutet mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit, dass Land im Osten entweder an Russland fällt, oder an ein autonomes Gebiet, das dann eine Bündnispolitik im Sinne Russlands verfolgt. Aber den Menschen dort wird es egal sein, solange sie wieder in ein Leben in Sicherheit zurückkehren können. Denn die schlimmstmögliche Wendung wäre die Fortsetzung des Krieges.

Christus und die „Verlogenheit des Pazifismus“

Das führt mich zu Gedanken über die Aussage von Christus:

Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin!

Auf den ersten Blick mag das furchtbar naiv klingen, so naiv, dass ein Herr Kretschmann aus dem Loch kriechen und über „Verlogenheit des Pazifismus“ in seiner Partei schwadronieren kann.

Aber so naiv war Christus nicht. Was er gemeint hat, liegt auf der Hand: „Überlege die Folgen“. Was passiert, wenn Du zurückschlägst? Wird sich Dein Gegner das gefallen lassen? Wird die Fehde auf die gesamte Familie ausgedehnt? Wird sie von Generationen ausgetragen? Wie viele Menschen werden leiden und sterben, wenn Du jetzt zurückschlägst?

Bezogen auf den Ukraine-Krieg gibt es das Argument, dass, wenn man jetzt in der Ukraine nachgibt, Putin als nächstes über das Baltikum herfällt. Das wird nicht passieren. Davon abgesehen, dass zu keiner Zeit irgendwelche Äußerungen gefallen sind, die ein Interesse an diesen Staaten erkennen lassen, wird weder Putin noch einer seiner Nachfolger sich dazu hinreißen lassen. Denn wer schon Probleme beim Angriff auf die Ukraine hat, wird ein sehr großes Problem beim Angriff auf das Territorium der NATO haben.

Es gibt im Westen Kreise, die das provozieren wollen, und ich kann nur hoffen, dass keiner so blöd ist, einen solchen Konflikt von Zaun zu brechen.

Fazit

Hört auf, die Pazifisten als Idioten abzustempeln. Hört auf, diejenigen als Idioten hinzustellen, die finden, dass man in Verhandlungen die Interessen Russlands berücksichtigen sollte. Hört auf mit der Rhethorik, die den Krieg anheizt und mit der Stimmungsmache, auf Grund derer wir alle bereit sein sollen, Opfer zu bringen, damit die Rüstungsindustrie den ersehnten Umsatz im Krieg erzielt.

Fangt an, die Folgen zu überdenken.

Wir haben ein Problem auf diesem Planeten. Wir müssen sofort und mit allen Ländern gleichzeitig anfangen, dieses Problem zu lösen.

Wir haben keine Zeit mehr für Krieg.

_______

* Dieser Wunsch dürfte seit dem Kriegseintritt Russlands merklich nachgelassen haben.

** Die Lage dort hat sich dadurch verkompliziert, dass der Iran als Gegner der USA den Konflikt zusätzlich anheizte. Die Rolle des IS ist ausschließlich durch die Destabilisierung des Irak und Syriens zu erklären. Dann gibt es noch die Kurden, die für alle anderen Parteien gegen den IS die Kohlen aus dem Feuer geholt haben. Aber das würde zu weit führen. Die Wurzel des Elends in Syrien liegt darin, dass die USA es nicht zulassen wollten, dass Assad gute Beziehungen zu Russland pflegte.

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