Der Herr Wolf und die schlimme Lage

Sonntag, 08.10.2023

Mirko Matytschak

Der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall warnt mal wieder vor dem Verfall der Sitten und der Republik. Er fürchtet, dass es in Deutschland demnächst keine Unternehmen mehr gibt. Und n-tv veröffentlicht das Gejammere unredigiert und unkritisch.

Stefan Wolf, seines Zeichens Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall schlägt Alarm. Er beginnt gleich mal mit dem Klassiker, den ich seit mindestens 50 Jahren in regelmäßigen Zeitabständen von Arbeitgeberpräsidenten und unseren kritischen Qualitätsjournalisten höre:

Für immer mehr Unternehmen ist es inzwischen deutlich attraktiver, die Produktion ins Ausland zu verlagern

Ich wundere mich, dass es in Deutschland überhaupt noch Unternehmen gibt. Aber Herr Wolf berichtet auch über tatsächliche Probleme:

Die deutsche Industrie erhält viel zu wenig Neuaufträge – und zwar nicht nur bei den Maschinenbauern, sondern auch in anderen Schlüsselindustrien wie Automobil und Chemie. Wir schlittern in eine Rezession, und ich sehe nicht, wie sich das unter den aktuellen Umständen 2024 ändern soll.

Das ist betrüblich. Vielleicht sollten sich die Bosse der Metallbranche einmal überlegen, wie sie diese Probleme auf die Reihe bekommen1. Das könnte viel an den aktuellen Umständen ändern. Aber stattdessen fordert Herr Wolf das Handeln der Regierung und des Kanzlers:

Ich schätze den Bundeskanzler, aber er führt nicht. Ein Kanzler muss die Dinge beim Namen nennen, seine Koalitionspartner auf ein gemeinsames Ziel einschwören und dann Lösungen umsetzen. Das fehlt mir in dieser Regierung extrem.

Sollen jetzt der Kanzler und seine Koalitionspartner als Chefs in der Metallbranche einsteigen, damit die endlich Führung erhält, oder wie meint er das? Im Artikel finden wir leider keine genaueren Angaben, was denn der Kanzler da führen soll.

Offensichtlich aber will Herr Wolf, dass die Regierung die Bevölkerung darauf einschwört, ihr Leben mehr auf ihre Arbeitgeber einzustellen:

Wolf beklagte zudem eine zunehmende Abkehr vom Leistungsprinzip in Deutschland. Schon mit dem Begriff „Work-Life-Balance“ habe er ein Problem, sagte der Gesamtmetall-Chef. „Er sagt aus, Work ist schlecht, Life ist gut.“

Da sollte der Herr Wolf nochmal ein wenig Deutschunterricht nehmen. Vielleicht könnte er dabei Hilfe von einem Qualitätsjournalisten von n-tv erhalten? Das Wort Balance bedeutet wortwörtlich, dass beides die gleiche Wertung hat. Keins von beiden ist besser oder schlechter, beide sind in bester Harmonie. Aber genau dieser Zustand der Balance stört solche Unternehmer alten Schlags, die in Deutschland gerne die frühkapitalistischen Verhältnisse wiederherstellen wollen:

Das Thema Leistung und Arbeit2 müsse wieder positiv dargestellt werden

Ich weiß nicht, wie er sich das vorstellt. Vielleicht so:

Also Leute, dann mal ran an die Maloche, ihr faulen Säcke!!1! Euer Leben wird positiver, wenn Ihr ein wenig mehr buckelt!!!

Ihr seht das Problem: Wie kann mehr Arbeit für weniger Lohn und weniger Freizeit positiv dargestellt werden? Das sagt uns Herr Wolf nicht. Wir wissen nur, dass er findet, dass das die Aufgabe der Bundesregierung unter der Führung eines starken Kanzlers ist.

Und dass die Regierung einen Fehler gemacht hat, nämlich die Erhöhung des Bürgergelds:

Je nach individueller Situation kann es sich in der Metall- und Elektroindustrie beispielsweise dann in den zwei unteren Gehaltsstufen nicht mehr lohnen, jeden Tag arbeiten zu gehen.

Lohnt es sich dann eher, jeden zweiten Tag arbeiten gehen? Nein, das kann er nicht meinen.

Applaus, Herr Wolf: Sie haben schon richtig erkannt, worauf das hinausläuft.

Die Erhöhung des Bürgergelds führt dazu, dass Ihre Branche ihre Scheißjobs besser bezahlen muss. Da gibt es für den Kanzler nichts zu tun. Außer vielleicht, dass er mal seine Führungsaufgabe ernst nimmt und den Arbeitgeberverbänden den Tipp gibt, für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen. Das könnte direkt zur positiveren Wahrnehmung des Themas Leistung und Arbeit führen.

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1 Das sehen übrigens auch manche Unternehmer so, wie dieses Interview expemplarisch zeigt. Dieses Gejammere über den Standort Deutschland nimmt der Herr Grupp als Flucht vor der Verantwortung eines Unternehmers wahr. Ich möchte hier explizit betonen, dass ich manchen Aussagen des Interviews sehr kritisch gegenüberstehe.

2 Siehe die Diskussion unten über Work und Labour. Lässt sich eine Gesellschaft rein auf Work aufbauen? Ich bin überzeugt  davon

 

Kommentare

2 Kommentare zu diesem Beitrag

Disbalanced · 09.10.2023 · Direkter Link

Danke für die Nachtlektüre. Aber mit dem Gedanken bin ich gar nicht einverstanden:

Das Wort Balance bedeutet wortwörtlich, dass beides die gleiche Bedeutung hat. Keins von beiden ist besser oder schlechter, beide sind in bester Harmonie.

Es gibt Arbeit und Arbeit. Die eine Arbeit beruht auf Selbstbestimmung und ist erfüllende Arbeit, mit der sich der Arbeitende identifizieren kann. Die andere Arbeit ist Erwerbsarbeit. Das ist die von Arbeitenden entfremdete Arbeit, eine Tätigkeit, die er ausführen muss, um sich zu reproduzieren. Diese meint Herr Wolf. Der Arbeitende verkauft seine Ware Arbeitskraft an den Unternehmer, sie hat aber nichts mit dem Menschen zu tun. Und eine Balance zwischen der entfremdeten Arbeit, die erschöpft und auslaugt muss sich ein Gegengewicht bilden. Das „Live“.

Alleine der Gegensatz „Arbeit“ und „Leben“ drückt ja schon die Entfremdung aus. Da kann es eigentlich keine wirkliche Balance geben. Nur eine gewisse Erholung, um sich anschließend wieder brav in den Produktionsprozess einzureihen. Und diese verlogene Balance will der Herr Wolf auch noch abschaffen. Das ist schlimm, aber in den Artikel gehört noch der Gedanke an die Erwerbsarbeit rein. Im Übrigen: auf dieser „Live“-Seite sind die Menschen oft ziemlich aktiv. Sie bauen Modelleisenbahnen, oder „arbeiten“ an ihrem Eigenheim höchst produktiv und erleben nach getaner Arbeit wenig Bedürfnis, sich zu erholen. Merkwürdig….

Mirko · 09.10.2023 · Direkter Link

Ich gehe mal davon aus, dass das keine Diskussion über das Wort Balance werden soll.

Und nun kommt es im Weiteren auf das Bezugssystem an. Bleiben wir mal innerhalb des Kapitalismus, dann ist die Notwendigkeit der Lohnarbeit gegeben und für diese Notwendigkeit braucht es gute Bedingungen, guten Lohn und eine ausgewogene Work-Live-Balance, sonst machen die Jobs die Menschen krank. Die Balance ist hier weder gut noch schlecht noch verlogen, sondern ergibt sich schlichtweg als Verhältnis aus den Arbeitsphasen (Labour) und den Zwischenräumen dazwischen, in denen der entfremdeten Arbeit eine sinnbehaftete Tätigkeit zur Seite gestellt werden kann.

Gehen wir davon aus, dass das ganze Konstrukt „Kapitalismus“ überwunden werden kann, dann ist Dein Einwurf natürlich berechtigt. Darauf sollte die Geschichte eigentlich hinauslaufen: Dass die Menschen sich von der aufgepfropften Selbstentfremdung emanzipieren.

Ich kann beobachten, dass dieser wünschenswerte Zustand zu einem gewissen Teil in unsere Gesellschaft hineinreicht: Je mehr Sinn eine Tätigkeit ergibt, umso mehr Bereitschaft entsteht, in diese Tätigkeit auch Energie zu investieren. Das Konzept der Work-Live-Balance ergibt in diesem Kontext keinen Sinn mehr.

Aber über die Ruhephasen müssen wir nochmal nachdenken. Sonst fordert das Herz seinen Tribut... ;-)

Übrigens für die Mitleser:

Es gibt Arbeit und Arbeit

Das Englische hat zwei Begriffe dafür: Work und Labour.