Upgrade oder Downgrade der Demokratie?

Freitag, 11.08.2023

Mirko Matytschak

Die Bertelsmann-Stiftung hat eine Umfrage zum Thema Desinformation im Netz durchgeführt. Das Ergebnis könnte die Geschäftsgrundlage der Stiftung empfindlich treffen.

Die Studie, die bezeichnenderweise den Namen "Upgrade Democracy" trägt, kommt zu dem Ergebnis:

Eine überwältigende Mehrheit wünscht sich einen stärkeren Einsatz gegen die Verbreitung
von Desinformation. [...]
Insgesamt 85 Prozent der EU-Bürger:innen finden, die Politik sollte mehr gegen die Verbrei-
tung von Desinformation unternehmen. Von den Plattformbetreibern fordern sogar noch
etwas mehr (89 Prozent) einen größeren Einsatz

Dieses Meinungsbild zeigt ähnliche Prozentzahlen, wie die Wahlergebnisse seinerzeit in der DDR. Aber die Studie zeigt auch:

Europaweit haben 52 Prozent derjenigen, die bereits einen Account gemeldet haben, häufig oder sehr häufig Desinformation wahrgenommen. [...] Mit der Wahrnehmung von Desinformation steigt die Bereitschaft, aktiv dagegen vorzugehen.

Wenn das tatsächlich der Fall ist, dann heißt das, dass über die Hälfte der Bevölkerung nicht nur nicht glaubt, was die Bertelsmann-Stiftung schreibt, sondern bereit ist, aktiv dagegen vorzugehen.

Ich fürchte, da wird das Eis für die Bertelsmann-Stiftung sehr dünne. Denn das sind ja bekanntlich diejenigen, die behaupten, dass eine Reduzierung der Anzahl an Kliniken von 1.400 auf etwa 600 eine Verbesserung der Versorgungslage bewirken kann. Ich habe das hier kommentiert.

Die Bertelsmann-Stiftung steht seit Jahrzehnten für neoliberale Meinungsmache mit geschickt lancierten Aussagen, die in der Bevölkerung eine positive Grundstimmung für Maßnahmen erzeugen, die derselben Bevölkerung schaden.

Wenn nun 52% davon den Schmarrn, den die Bertelsmann-Stiftung so von sich gibt, nicht mehr glauben, nein sogar dafür einstehen, dass die Verbreitung von Fake-News, mit denen sie seit Jahren neoliberale Ideologiebildung betreibt, endlich verboten gehört, dann können wir tatsächlich von einem Upgrade der Demokratie sprechen.

Ich bin mir nämlich ziemlich sicher, dass die 52% laut der Studie jungen, kritischen und gebildeten Menschen nicht das nötige Vertrauen in die Politik oder die Plattformbetreiber haben, um die Zensur der Beiträge im Internet in deren Hand zu legen. Denn das wäre nicht ein Upgrade sondern ein Downgrade der Demokratie.

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Update 13.08.2023: Leser weisen mich darauf hin, dass Bertelsmann mit seinen DDR-Wahlergebnis-Umfragen das eigene Geschäft unterstützt. Die Firma Arvato, eine Bertelsmann-Tochter, ist im Auftrag von Facebook mit der Zensur von Beiträgen auf Facebook betraut. Das Geschäft will man ausbauen und dazu erzeugt man unter anderem mit Hilfe dieser Studie Stimmung im Volk.

Mein Beitrag ging bislang vom Ausgangspunkt aus, dass die genannten Prozentzahlen ohne Bezugsgröße im Raum stehen. Man weiß nicht so genau, von welcher Gruppe an Menschen die 89% genommen wurden, die sich da angeblich mehr Zensur – ich meinte: Aktivitäten gegen Desinformation – wünschen. Ebenso unklar sind die 52%, die angeblich aktiv gegen Desinformation vorgehen.

Eine Definition des Begriffs „Desinformation“ sucht man vergebens. Die gesamte „Studie“ ist kompletter Fake. Erschütternd ist, dass die angeblichen Resultate dieser Studie von anderen großen Medien unhinterfragt veröffentlicht werden.

Ich finde es im Übrigen sehr bedenklich, dass der öffentliche Diskurs mehr und mehr auf Plattformen stattfindet, die Firmen gehören und auf denen eine völlig intransparente Zensur stattfindet. Der verlinkte Artikel in der SZ bringt meine Sorge um diese Entwicklung ziemlich gut auf den Punkt.

Mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) hat Heiko Maas die Plattformbetreiber zu einer präventiven Zensur getrieben, aufgrund derer die sozialen Plattformen als Instrument der Meinungsbildung völlig ausgeschaltet werden, zumindest wenn es um die Verbreitung von Standpunkten geht, die dem Interesse der gerade vorherrschenden Politik zuwiderlaufen. Ich kann nur davor warnen, sich zu sehr auf die sozialen Plattformen als Medium zu verlassen. Es kann jederzeit passieren, dass Eure Inhalte auf Nimmerwiedersehen verschwunden sind.

Offensichtlich hat das NetzDG das Geschäft von Arvato nicht im dem Maß gefördert, das sich Bertelsmann gewünscht hat. Also wird mit etwas Stimmungsmache nachgeholfen.

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