Die freiwillige Selbstdemontage eines Professors

Mittwoch, 02.08.2023

Mirko Matytschak

Gegenwärtig werden wir Zeuge einer unglaublichen Schmutzkampagne gegen alle Personen, die sich gegen die Fortsetzung des Krieges in der Ukraine durch immer größere Waffenlieferungen aussprechen. Die Kampagne folgt einem Muster, das ihre Urheber aus unerfindlichen Gründen für erfolgreich halten.

Das Muster sieht so aus, dass faktenfreie Artikel und Vorträge mit Meinungen angeblich berufener Experten garniert werden. Ein wenig Antisemitismus-Behauptung dazu, und schon ist das Gulasch zubereitet. Es ist also nicht so, dass es einen Diskurs gäbe, in dem man die Argumente der Gegenseite aufgreift und die eigenen Argumente entgegensetzt, sondern die Auseinandersetzung beschränkt sich auf die bloße persönliche Beschimpfung der Kontrahenten.

Die Rolle von Experten in der Propaganda

Ein schönes Beispiel dafür ist ein Artikel auf t-online, in dem ein angeblicher Experte zum Thema Osteuropa zitiert wird:

"Gabriele Krone-Schmalz hat den russischen Propagandanarrativen den Weg in die politischen Debatten bei uns bereitet" und damit "ihren Anteil daran, dass sich in Deutschland Politik und Öffentlichkeit lange vom Putin-Regime an der Nase herumführen ließen", sagt auch Klaus Gestwa, Professor an der Uni Tübingen und dort Direktor des Instituts für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde. Bis heute trete sie vor allem "als publizistische Übersetzerin der russischen Propaganda" in Erscheinung.

Ihr solltet die Äußerungen der Frau Krone-Schmalz besser erst gar nicht lesen! Denn ein Experte sieht sie als publizistischen Arm der russischen Propaganda und da könnt Ihr leicht darauf reinfallen. Der Herr Gestwa ist immerhin Professor und wenn ein Professor so etwas sagt, dann muss da was dran sein.

Ich für mein Teil lese die Meinungen verschiedener Akteure. Es schadet zum Beispiel gar nicht, sich einmal anzusehen, wie die russische Regierung die Situation in Europa und der Ukraine betrachtet. Man könnte das dann mit den Äußerungen der Frau Krone-Schmalz vergleichen und möglicherweise feststellen, dass diese einen völlig eigenständigen Standpunkt einnimmt. Dumm nur, dass die EU dem russischen Staatsmedium RT DE ein Sendeverbot verhängt hat. Jetzt müssen wir dem Herrn Gestwa unbesehen Glauben schenken.

Die Schmährede des Experten

Bevor wir ihm unseren Glauben schenken, wollen wir kurz checken, was dieser Professor im Diskurs so zu bieten hat. Hier gibt es ein besonders schönes Beispiel, was passiert, wenn Experten sich in den Dienst des Neuen Deutschen Bellizismus stellen. Also, nicht, dass man an dem Beispiel erkennen könnte, dass der Herr Gestwa ein Experte ist. Ein Professor für Osteuropäische Geschichte sollte eigentlich in der Lage sein, ein paar fundierte Sätze zum Besten geben zu können. Die sucht man in seinem Vortrag vergebens.

Der verlinkte Vortrag ist nicht mehr, als eine Schmährede gegen Daniele Ganser, der wie Krone-Schmalz zu den Personen gehört, die die Waffenlieferungen in die Ukraine ablehnen. Die Rede dauert über 20 Minuten und enthält kein einziges Argument. Wüsste man nicht, dass man es mit einem Professor zu tun hat, so müsste man meinen, der Vortrag stamme von einem Vollpfosten.

Es gibt zwei Behauptungen in dem Vortrag, auf die ich eingehen möchte. Erstens behauptet er, Ganser sei antiamerikanisch. Das Gegenteil ist der Fall. Herr Ganser hat schon an verschiedenen Stellen klargestellt, dass er die Amerikaner schätzt, aber den hegemonialen Bestrebungen der US-Außenpolitik kritisch gegenüber steht. Das hat nichts mit Antiamerikanismus zu tun.

Die zweite Behauptung ist, dass Ganser antisemitische Äußerungen von sich gibt. Das ist ja in letzter Zeit sehr modern, missliebige Personen durch die Unterstellung zu diskreditieren, sie seien antisemitisch eingestellt. Dazu sei gesagt, dass der Herr Gestwa sich diese Behauptung zur Gänze aus seinem Allerwertesten gezogen hat. Ein Zitat oder einen sonstigen Nachweis dieser Behauptung bleibt er schuldig.

Aber das macht nichts. Im Kreis seiner andächtigen Zuhörer reicht die Behauptung. Ich warte auf den ersten Prozess, in dem mal eine Strafe wegen solch haltloser Behauptungen verhängt wird, damit diese Unsitte ein Ende finden kann.

Die freiwillige Selbstdemontage

Statt also mit Fakten gegen die angeblichen Verschwörungstheoretiker zu brillieren, macht sich der Professor Gestwa zum Stück Brot. Ich meine: Immerhin hat er Studenten, die sich das anschauen, und ich glaube nicht, dass die sich von solch solch faktenfreien Beschimpfungen irgendwie beeindrucken lassen, geschweige denn, ihn als Professor jemals wieder ernst nehmen.

Es hat mich eine Weile beschäftigt, wie es sein kann, dass sich ein Professor, ein Experte im Bereich der Osteuropäischen Geschichte, selbst so demontiert, sich selbst so darstellt, als hätte er außer ad-hominem-Beschimpfungen nichts zu bieten.

Die einzige Erklärung, die sich mir anbietet, ist, dass er mit einem Diskurs – also eine Auseinandersetzung mit den Argumenten Gansers – diesen auf die Ebene der fachlichen Auseinandersetzung „heben“ würde. Dies möchte er jedoch auf jeden Fall vermeiden. Gestwa will nicht, dass wir uns die Argumente Gansers zu Gemüte führen, auch nicht, wenn er (aus seiner Sicht) gute Argumente dagegen hätte.

Was er will, ist, den Herrn Ganser aus der Diskussion ganz zu entfernen. Seine Beschimpfungen dienen einzig dem Zweck, dass sich leicht manipulierbare Geister nicht mit dem Herrn Ganser und seinen Standpunkten auseinandersetzen. Das ist ihm den Preis wert, bei kritischeren Personen (unter anderem seinen Studenten) nicht mehr ernst genommen zu werden.

Der Krieg gegen Russland scheint ihm wirklich sehr wichtig zu sein.

Ein Vergleich

Gibt es eine andere Art der Umgangsweise mit den Realitäten, in denen wir gerade leben? Ich habe hier mit Adam Tooze ein wunderbares Beispiel. Der Mann unterrichtet die amerikanische Elite als Wirtschaftshistoriker an der Columbia University und leistet sich dennoch eine fundierte Kapitalismuskritik. Er ist ein scharfer Kritiker der amerikanischen Hegemoniepolitik, und niemand würde auf die Idee kommen, ihn, der in die USA gegangen ist, um zu lehren, als Antiamerikaner zu bezeichnen.

In drei Stunden eines sehr intensiven Gesprächs bekommen wir nicht nur einen Eindruck über Toozes Standpunkte, was Eliten, die US-Außenpolitik, das soziale Problem in den USA und die Bewältigung der Klimakrise anbetrifft. Wir hören auch in regelmäßigen Abständen Argumente, die seinen Standpunkten entgegenstehen, die es ihm ermöglichen, seine Position klarer zu machen. Ich muss seine Positionen nicht unbedingt teilen, um das ganze Gespräch als inspirierend und lehrreich zu betrachten.

Das nenne ich ein akademisches Vorbild. Und jemand wie Herr Gestwa, der sich für billige bellizistische Propaganda hergibt, wird nie die Achtung erhalten, die ein Adam Tooze oder auch der Herr Ganser für seine Vorträge erhält.

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