President Trump: Willkommen in der Realität!

Freitag, 11.11.2016

Mirko Matytschak

Nun ist Donald Trump also Präsident. Das spaltet die Gesellschaft in zwei Lager: Diejenigen, die sich verwundert die Augen reiben und diejenigen, die sagen: Was habt Ihr denn gedacht?

Wie Ihr vielleicht aus meinem Brexit-Artikel schließen könnt, gehöre ich zu letzteren, die eine Wahl Trumps für sehr gut möglich gehalten haben.

Man muss einfach der Tatsache ins Auge sehen, dass in einer repräsentativen Demokratie alle Stimmen zählen. Und diejenigen, die sich darüber wundern, wie so etwas möglich ist, dass die Briten für den Brexit und die Amerikaner für Trump stimmen, haben wohl abgeschottet in einer Werteblase gelebt, in der man nicht mit der Tatsache konfrontiert wird, dass es im Musterland der Demokratie Horden von rassistischen Bierdimpfeln gibt, die auch wählen dürfen.

Ich meine, wenn Ihr Euch permanent in Kreisen aufhaltet, die sich gegenseitig ihre „Werte“ dadurch bestätigen, indem sie jeden aus der politischen Diskussion ausschließen, der mal einen Satz gesagt hat, der schon mal von einem Rechtsradikalen gesagt wurde, und jeden auffordern, diesen Personen auf gar keinen Fall mehr zuzuhören, dann schafft Ihr Euch eine Welt, in der über 90% der Menschen weltoffen, tolerant und gebildet sind. Das nennt man dann Blase. Für die darin Wohnenden scheint es praktisch unmöglich, dass „die Welt“ jemanden wie Trump wählen kann.

Willkommen in der Realität. Wenn denn Trumps Wahl für etwas gut war, dann für diese Erkenntnis.

Sagt mir bloß nicht, dass die Anderen schuld sind, die Demagogen, die Populisten, welche diejenigen aufsammeln, die sich in Euren ach so wertorientierten Kreisen nicht aufgehoben fühlen. Schon warnt der Herr Schäuble vor dem Trump-Effekt:

"Demagogischer Populismus ist nicht nur ein Problem Amerikas.", schrieb Schäuble in einem Beitrag für die "Bild". "Auch anderswo im Westen sind die politischen Debatten in einem Besorgnis erregenden Zustand."

Das muss man sich mal geben. Just die Bildzeitung ist besorgt über Populismus.

Personen statt Themen

Das Problem ist nicht der hier angeprangerte Populismus. Das Problem liegt tiefer. Es liegt darin, dass in der repräsentativen Demokratie die Wähler nicht die Wahl zwischen verschiedenen thematischen Ausrichtungen der Politik haben, sondern nur die Wahl zwischen Personen. Und der Gipfel dieser Personen-Show ist die Präsidentenwahl in den USA. Der Gipfel des Gipfels war die letzte Wahl: Hier ging es in Schlammschlachten um das dumpfe gutturale Gefühl, das die Wechselwähler zwischen Hillary und Donald hin- und hergezogen hat, bis der Meister des gutturalen Gefühls gewonnen hat.

Dieses Procedere wird der Welt seit Jahrzehnten als Errungenschaft der westlichen Demokratien verkauft. Und nun wundern sich alle über das Resultat.

Ich lade Euch mal zu einem Gedankenexperiment ein. Angenommen, man müsste einen Wahl-Führerschein machen, als Voraussetzung für die Erlaubnis zum Wählen. Die Wähler müssten sich alle 5 Jahre einer Prüfung unterziehen und ein paar grundlegende Fragen der praktischen Politik beantworten: Wie entsteht ein Gesetz, nennen Sie drei typische Aufgaben, die in den Zuständigkeitsbereich der Länder, des Bundes oder Europas fallen, was ist der Unterschied zwischen dem Bundespräsidenten und dem Bundeskanzler und so weiter.

Sehen wir für dieses Gedankenexperiment einfach mal von den Schwierigkeiten ab, die das Unterfangen mit sich bringen würde. Wie hoch meint Ihr, wäre die Wahlbeteiligung, wenn man das einführen würde? Sind 20% zu hoch gegriffen?

Das hat nichts mit der arroganten und zynischen Einstellung zu tun, dass die Leute sowieso zu blöd für die Demokratie sind. Das Experiment will nur aufzeigen, dass wir ein Problem haben, an dessen Lösung anscheinend niemand interessiert ist – zumindest nicht im Politikbetrieb oder in den Medien.

Guter und schlechter Populismus

Seit ich das politische Geschehen wahrnehme, also im Zeitraum von ein paar Jahrzehnten, habe ich sehr viele Innenminister erlebt, die sich um das Thema „Sicherheit“ sehr bemühen, wobei sie den Wählern Kontrolle als Sicherheit verkaufen.

Ich habe Herrn Merz mit seiner Bierdeckel-Idee erlebt, Freiheit statt Sozialismus, die Öffnung nach Osten, die Wiedervereinigung, die Entdeckung des Internets und des Cyber-Dingsda durch die Politik und vieles mehr.

Aber was ich in all den Jahren nicht erlebt habe, war, dass eine prominente Person des Politikbetriebs einmal geäußert hätte, dass wir die Werte unserer Demokratie erst dann richtig leben, wenn wir die Kinder in den Schulen zu einem selbständigen und kritischen Denken erziehen. Und dass es da irgendeinen Handlungsbedarf gäbe.

Emotionen statt Wissen

Es scheint für alle bequemer zu sein, die Dinge zu belassen, wie sie sind, und Wahlwerbung mit Emotionen zu machen.

Dazu kommt eine geradezu weltfremde Weigerung, sich mit rebellischen Positionen aus dem linken oder rechten Lager auseinanderzusetzen. Die traditionellen Parteien sind immer bemüht, Wähler „abzuholen“. Gemeint ist damit aber nicht die Auseinandersetzung mit diesen Personen und ihren Motiven, sondern das Schaffen einer emotionalen Stimmungslage, wie sie von Herrn Seehofer, Herrn de Maizière und Herrn Maas – um nur einige zu nennen – sehr gekonnt inszeniert wird. Die markigen Sprüche á la „Wer betrügt, der fliegt“ sind exakt der gleiche Populismus, wie man ihn von der AfD hört.

Nein, nein, heißt es da. Die Populisten sind die anderen. Nicht der Herr Schäuble, der der Öffentlichkeit weisgemacht hat, dass die Griechen erst ihre „Hausaufgaben“ machen müssen, während er in den Verhandlungen mit Griechenland jeden Lösungsansatz zunichte gemacht hat.

Und dann stellt sich heraus, dass keiner in der sogenannten Troika je daran geglaubt hat, dass die „Reformen“, die man Griechenland auferlegt hat, irgendeine Wirkung zeigen könnten. Da konnte der Herr Varoufakis noch so viele intelligente Lösungsansätze präsentieren: Letztlich zählten die psychologischen Tricks, das, was „die Märkte“ in Stimmung hält.

Machen wir uns nichts vor: Auch der Spruch „Wir schaffen das“ ist letztlich nichts anderes, als das Fischen nach den Emotionen der Wähler, auch wenn er noch so unseren Werten entspricht. 

Es fällt wirklich schwer, ein Beispiel für die Benutzung von Argumenten im Politikbetrieb zu finden, vor allem, wenn Wahlen anstehen. Mir fällt Oskar Lafontaine ein, der seinerzeit gesagt hat, dass wir uns im Klaren darüber sein müssen, dass uns die Wiedervereinigung mindestens 100 Milliarden DM kosten wird*. Die Wahl hat natürlich Helmut Kohl mit seinen „blühenden Landschaften“ gewonnen. Und das ist ein Problem.

Die Gefahr ist also nicht der "demagogische Populismus" der Anderen, die sowieso am Rand stehen, sondern der systemimmanente Populismus, der die Demokratie zur Personality-Show degradiert. Die Gefahr ist eine intransparente Politik, die die Klientel der Parteien bedient, kombiniert mit dummen Sprüchen für die Bevölkerung. Und da sind die Grünen nicht ausgenommen

Kein Wunder, dass sich immer mehr Leute wünschen, dass da einmal jemand richtig aufräumt.

Was steht auf dem Spiel?

So kommen wir nochmal zu den rebellischen Positionen zurück. Ich zitiere hier Wilhelm Reich, der nebst Hannah Arendt wahrscheinlich die einzige brauchbare Analyse zum Phänomen des Faschismus abgeliefert hat:

Die faschistische Mentalität ist die Mentalität des kleinen, unterjochten, autoritätssüchtigen und gleichzeitig rebellischen „kleinen Mannes“.

Hervorhebung von mir. Ich möchte Euch dazu ermuntern, ein wenig in „Die Massenpsychologie des Faschismus“ hineinzuschnuppern. Im "Vorwort zur dritten Auflage" werdet Ihr ein Charakterbild der heutigen Pegida-Anhänger und der Wählerschaft Donald Trumps finden.

Es ist wichtig, zu verstehen, wie diese Pegida-Anhänger und Seehofer-Fans ticken. Und dazu muss man sich mit Ihnen auseinandersetzen. Eine Analyse aus der Entfernung wird nicht hilfreich sein.

Dieses Problem müssen wir lösen

Und selbst wenn alle Politiker – sogar der Herr de Maizière – die besten Absichten für unsere Demokratie hätten: Das psychologische Problem des mangelnden Selbstwertgefühls, das an den Schulen gezüchtet wird und sich dann im Wunsch nach Kompensation äußert, nach einer Kompensation, die die Stärke von außen sucht, von einem starken Mann an der Spitze einer starken Nation: Dieses Problem müssen wir lösen.

Irgendwann kommt immer einer, der diese Leute aufsammelt und sich als Rattenfänger von Hameln präsentiert. Der wird dankbar die von den Herren de Maizière und Maas vorbereitete Infrastruktur der Überwachung und Unterdrückung zu seiner Ermächtigung benutzen und keiner kann etwas dagegen tun. Das Beispiel Türkei zeigt, wie das funktioniert.

Ich habe eine Weile an der Dokumentation eines Projekts mitgefilmt, in dem Schüler an Haupt- und Sonderschulen gemeinsam Tanzprojekte auf die Beine stellten. Es war bestürzend zu sehen, wieviel Angst diese 12-15jährigen davor haben, sich zu zeigen. In ihrer Angst, etwas falsch zu machen, sich zu blamieren, bildeten sie kleine Rudel, in denen sich letztlich alle voreinander verstecken konnten. Die Schule ist die Brutstätte des Minderwertigkeitsgefühls, das die Wurzel des Problems ist. Es kostete viel geduldige Arbeit, bis sich wenigstens ein Teil der Kinder aus der Deckung traute.

Das ist die Aufgabe, die vor uns steht: Nicht das Eintrichtern von Lehrstoff, sondern das Entwickeln von Persönlichkeiten, die Freude daran haben, ihre eigenständigen Gedanken zu entwickeln. Lasst uns anfangen, bevor es zu spät ist. Und wenn sich der eine oder andere, der sich heute eine politische Karriere im alten Stil verspricht, neu orientieren muss, soll es nicht zu unserem Schaden sein.

Update

Michael Moore hat sich in einem ähnlichen Sinn geäußert und ebenfalls auf die realitätsferne Blase hingewiesen:

Everyone must stop saying they are "stunned" and "shocked". What you mean to say is that you were in a bubble and weren't paying attention to your fellow Americans and their despair.

Nichts gelernt hat dagegen die Demokratische Partei, in der Stimmen laut werden, Michelle Obama solle in vier Jahren als Präsidentschaftskandidatin antreten. Offensichtlich ist es in den USA wirklich egal, ob der Präsident/die Präsidentin etwas von Politik versteht. Die Beweggründe, die sie für Michelle Obama in die Waagschale werfen:

Doch gerade ihre beharrliche Weigerung, Politikerin zu werden, macht Michelle Obama für viele liberale US-Amerikaner zur idealen Kandidatin – vor allem vor dem Hintergrund, dass Donald Trump mit seinem Anti-Establishment-Wahlkampf die Präsidentschaft gewann und Hillary Clinton als Sinnbild eben dieses Establishments grandios scheiterte.

Es geht um Sinnbilder und Emotionen, die das Wahlvieh zur richtigen Partei locken sollen.

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* Die Kosten bis heute werden auf ca. 2 Billionen € geschätzt.

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