Was alles nicht auszuschließen ist

Mittwoch, 28.09.2022

Mirko Matytschak

Die Bundesregierung schließt nicht aus, dass es sich beim Leck der Nord Stream Pipeline um einen Sabotageakt handelt. Und ich schließe nicht aus, dass 50% der Bevölkerung Außerirdische und diese für das Leck verantwortlich sind.

Die Bundesregierung schließt nicht aus, dass ein Anschlag auf die Nord Stream-Pipelines verübt wurde. Und ich schließe nicht aus, dass die Ursache der Lecks in einer Materialermüdung der verlegten Röhren liegt, die zufällig gleichzeitig zu Rissen in mehreren Röhren geführt hat, ausgelöst durch das Bellen eines Hundes in China. Mit „ich schließe nicht aus“ lässt sich nämlich alles in eine Diskussion einschließen, was uns beliebt.

Und wer weiß, vielleicht haben die 50% Außerirdischen in der Weltbevölkerung irgendetwas mit diesen Lecks oder dem Hund in China zu tun. So lange die Ursache des Druckabfalls nicht klar ist, können gerne noch weitere Vorschläge als Ursache der Lecks entgegengenommen werden.

Wir wissen, wer Schuld ist

Was wir aber bereits genau wissen, ist die von Faktencheckern* geprüfte Tatsache, dass Russland daran schuld ist.

Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter geht derweil davon aus, dass die Leckagen auf einen Sabotageakt Russlands zurückzuführen seien. „Nach allem, was wir wissen, kann es sich bei den Lecks in den Pipelines Nord Stream I und II fast nur um einen gezielten staatlich veranlassten Sabotageakt handeln“, sagte Kiesewetter dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Mittwoch).

Wenn es nicht die Außerirdischen waren. Aber warum sollten die Russen eine Pipeline sabotieren, die sie mit viel Geld und Mühen mit aufgebaut haben? Nun, ausschließen kann man das nicht. Aber wahrscheinlich ist diese Variante nicht. Wenn die Russen einen Druckabfall an der Pipeline haben wollen, gibt es eine einfachere Möglichkeit: sie drehen einfach den Hahn zu. Wartungsarbeiten, Sie wissen schon...

Aber wartet mal: Wenn fast nur ein staatlich veranlasster Sabotageakt in Frage kommt, welcher Staat hätte denn ein Interesse daran, dass selbst dann kein Gas nach Deutschland fließen könnte, wenn die Bundesregierung umfiele und im Winter trotz aller Sanktionen Gas von Russland beziehen wollte? Da wir nicht wissen (und es wahrscheinlich nie erfahren werden), wer die Lecks verursacht hat, können wir hier nichts ausschließen.

Herr Kiesewetter spricht aber noch weiter:

Es ist deshalb wahrscheinlich, dass Russland auf diese Weise versucht, ... Verunsicherung in der europäischen Bevölkerung zu schüren...

Ich lade die geneigte Leserschaft dazu ein, in dieses Zitat einmal statt Russland jedes weitere Land einzusetzen, von dem nicht auszuschließen ist, dass es von den Lecks in Nord Stream profitiert. Nur als Gedankenexperiment.

Es ist nicht auszuschließen, dass die Ergebnisse die Leser verunsichern könnten.

Das waren Profis!

Offensichtlich ist es ziemlich aufwändig, solche Lecks mitten in der Ostsee zu schlagen. Es bräuchte Technologie der Außerirdischen, oder Kriegsschiffe, mit denen sich die Ausrüstung transportieren ließe. Aber die waren es bestimmt nicht. Das wäre einfach zu offensichtlich. Erstens hat es Präsident Biden angekündigt. Zweitens: Findige Journalisten würden die Koinzidenz der Lecks mit der Anwesenheit der Schiffe sofort erkennen und entsprechend berichten. Ich meine: welchen Grund hätten sie, nicht darüber zu berichten?

Transatlantik und Presse

 

Update: Ein Leser merkt an, dass die Russen das AKW beschießen, das von den eigenen Truppen besetzt wird: „Das kann man nicht ausschließen. Denen ist alles zuzutrauen.“

Update: Da sich der Urheber der Lecks schlecht ermitteln lässt, schießen die Spekulationen wie Pilze aus dem Boden. Bei uns ist auch gerade Pilzsaison. Infolge eines Artikels auf Heise gab es jede Menge Kommentare zu dem Thema. Ich habe mal diesen Thread herausgegriffen, weil der Opener die Schlussfolgerung zieht, die auch meiner Meinung nach nahe liegt. Mich hat aber vor allem interessiert, welche Argumente vorgebracht werden, die für Russland als Schuldigen sprechen.

Zunächst aber mal die Begriffsklärung für „False-Flag-Operation“. Wenn es die USA waren, ist es keine False-Flag-Operation. Warum? Weil Russland der Geschädigte wäre und die Leitungen von einem Konsortium gebaut wurden, an dem Russland, aber nicht die USA beteiligt war. Es wird auch dann nicht eine False-Flag-Operation, wenn die USA den Russen die Schuld in die Schuhe schieben würden.

Eine False-Flag-Operation wäre es dann, wenn es Russland war und die Russen behaupten, es seien die USA gewesen.

False-Flag-Operationen werden durchgeführt, wenn man eine Begründung für einen feindseligen Akt sucht, zum Beispiel Sanktionen oder einen Krieg.

Zurück zu den Kommentaren. Da kommt sehr viel von solchem Zeug:

Das ist Putin-Propaganda, nichts anderes.
Sag mal, für wie dumm haltet ihr Putin-Trolle eigentlich die Foristen hier?

Zu den tatsächlichen Argumenten zählt aber dieses hier:

>> Hier ist eine Liste mit selbst gelieferten Argumenten vom US Kongress https://www.congress.gov/bill/117th-congress/house-resolution/426/text?r=92&s=1
Und hast du auch irgendwelche Gegenargumente dazu? Von wirtschaftlichen Interessen der USA lese ich da übrigens nichts.

Das Argument geht etwa in die Richtung, dass die USA die Nordstream-Pipelines aus strategischen aber nicht aus wirtschaftlichen Erwägungen abgelehnt haben. Kurz zusammengefasst sagt das Argument in etwa: Die USA profitieren nicht von den Lecks, weil sie nur eine strategische Bedeutung haben.

Dann kommt relativ oft das Argument der False-Flag-Operation. Mal in die eine, mal in die andere Richung. Aber wie gesagt, False-Flag ist es nur von Russlands Seite. Das Argument wäre dann etwa, dass die Russen darauf spekulieren, dass es im Winter Probleme bei uns geben wird. Kostenexplosion, Gasmangel, Energieknappheit. Und wenn in solch einer Situation ein Verbündeter in Verdacht steht, die Pipeline zu zerstört zu haben, deren Betrieb die Probleme mindern könnte, dann könnte die Stimmung in Deutschland bzw. Europa in Richtung Russland kippen.

Das ist so ziemlich das einzige tragende Argument in der Diskussion. Allerdings wäre der Zeitpunkt für die Operation schlecht gewählt. Die Russen hätten das machen müssen, bevor die Gasspeicher voll waren. Die Gasspeicher sind gut gefüllt, wir werden über den Winter kommen.

Die Unzufriedenheit, auf die die Russen angeblich spekulieren, wäre also nicht so hoch, als wenn der Anschlag früher stattgefunden hätte. Die Frage ist also, ob sich der Schaden, den die Russen ja selbst beheben müssen, mit irgendeinem „Gewinn“ gegenrechnen ließe. Das wird so nicht eintreten. Das soll aber nicht heißen, dass die Russen das nicht trotzdem gemacht haben. Im Kreml ist schon so mancher Schwachsinn beschlossen worden. Zum Beispiel der Einmarsch in die Ukraine.

Nach der gleichen Logik könnte auch der Selbstbeschuss des AKWs geschehen sein. Das wäre eine Kriegsführung nach der Art: „Wir schießen uns 10 mal ins Knie, dann ist der Gegner demotiviert“.

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* Der Faktencheck geht ganz einfach: Wenn irgend etwas Fieses in der Welt passiert, waren es die Russen. Die Lecks sind fies, also folgert daraus: Es waren die Russen.

Ich bin sicher kein Freund des putinschen Russlands. Aber diese billige Meinungsmache beleidigt nicht nur meinen Intellekt, sondern den aller Bundesbürger.

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