Endlich frei!

Dienstag, 04.02.2020

Mirko Matytschak

Nun haben sie ihn. Die Briten ihren Brexit. Die lang ersehnte Freiheit von den Fesseln der EU. Aber jetzt kommt der Alltag...

Es scheint alles zu diesem Thema gesagt worden zu sein, nur nicht von jedem. Daher fasse ich mich kurz und verweise auf das Online-Magazin Republik aus der Schweiz, das das Thema quasi aus der Perspektive eines Außenstehenden betrachtet. Der Tipp stammt übrigens von Fefe's Blog.

Der genannte Artikel sticht deshalb so hervor, weil er auf den Tenor des Bedauerns darüber verzichten kann, dass Großbritannien die kuschelige Familie verlässt und offensichtlich auf die europäische Einigkeit pfeift.

Zunächst aber mal das offensichtliche: Großbritannien benötigt einen neuen Vertrag mit der EU. Hier hat sich Johnson bereits festgelegt. Es wird einen harten Brexit geben, wenn bis zum 31.10.2020 keine Vereinbarung auf dem Tisch liegt. Die Frist läuft Ende des Jahres aus, aber 27 Mitgliedsstaaten der EU müssen den Vertrag ratifizieren. Johnson hat also maximal 8 Monate Zeit vom Austritt bis zum Abschluss eines Handelsabkommens mit der EU. Soviel zu den allseits bekannten Fakten.

Wie schließt man ein Handelsabkommen ab?

Neu mag für manchen Leser sein, dass mit dem Austritt aus der EU 40 Handelsabkommen mit anderen Ländern wegbrechen. Natürlich lässt sich das alles neu verhandeln, aber das kostet Zeit. Und Zeit ist etwas, das GB nicht hat.

Dazu kommt, dass in den Jahrzehnten, die GB Mitglied der EU war, die Handelsabkommen durch die EU verhandelt wurden. Solche Handelsabkommen sind eine komplizierte Angelegenheit, für die es ausgewiesene Experten braucht.

Die EU hat solche Experten. Man kann der EU viel nachsagen, aber in Sachen Handelsabkommen scheint sie im Lauf der Jahre eine gewisse Fertigkeit erlangt zu haben. Der genannte Artikel zaubert ein paar Zitate von Verhandlern ans Tageslicht, die nahelegen, dass Verhandeln mit der EU in etwa so viel Spaß macht, wie eine Serie Behandlungen beim Zahnarzt.

Das liegt auch am Thema, das nicht wirklich spaßig ist. Oder, um aus dem Artikel zu zitieren:

In Handelsgesprächen bist Du entweder der Würger oder Du wirst gewürgt.
(In trade talks you're either the bully or you're bullied) -> Quelle

Hatte ich erwähnt, dass es in GB einen gewissen Mangel an Personen gibt, die solche Verhandlungen führen können? Darüber tritt GB mit Johnson an der Spitze nicht gerade mit den kräftigsten Argumenten in die Verhandlungen ein. Die Wirtschaftskraft von GB beträgt etwa 3 Billionen Dollar. Im Vergleich dazu kommt die USA auf 21, die EU auf 18, gefolgt von China mit 12 Billionen Dollar.

Es bleibt dem Leser überlassen, sich auszumalen, wer in den Verhandlungen der Würger und wer der Gewürgte ist. Vielleicht erklärt das auch die Gelassenheit, mit der Politiker der EU auf diese Verhandlungen blicken.

Wieviel Prozent unserer Exporte geht noch einmal nach GB? Und wieviel Prozent der Exporte von GB gehen nach Europa? Wie bitte? 70% des Fisches, der an den jetzt "freien" britischen Küsten gefangen wird, geht nach Europa? Really? Aber es wird laut Johnson mit "epischer Wahrscheinlichkeit" einen Deal mit der EU geben. Da kann man das dann regeln.

Der unglaubliche Deal

Die USA haben sich schon mal zu den Verhandlungen mit GB geäußert. Donald Trump spricht von einem "unglaublichen Deal", der sich hier anbahnt. Das glaube ich gerne. Das wird ein unglaublicher "America First"-Deal bei dem die Briten vielleicht das erste, aber nicht das letzte Mal als die Deppen dastehen. Aber das ist der Preis der Freiheit.

Ein großer Teil des genannten Artikels dreht sich um das Thema, mit wem GB denn überhaupt auf die Schnelle Handelsverträge abschließen kann. Da wird unter anderem der Commonwealth genannt. Gerade Indien als am stärksten wachsende Volkswirtschaft der Welt sticht hier hervor.

Die Inder aber haben noch eine Rechnung mit GB offen unter dem Stichwort Ausbeutung und Demütigung durch den Kolonialismus. Eine indische Regierung steht bei der Bevölkerung nur dann gut da, wenn sie zeigt, dass sie GB auch mal kräftig gegen das Schienbein treten kann. Die Chance dafür bietet sich jetzt. Aber nicht nur das. Indien hielt sich für lange Zeit nach der Unabhängigkeit ziemlich abgeschottet -- und das war nicht die schlechteste Idee für die Entwicklung des Landes. Jetzt, nach der Öffnung, hat Indien eine sehr gute Ausgangsposition und vor allem eins: Zeit.

Die EU möchte ein Handelsabkommen mit Indien abschließen, und zwar eines, von dem die Mitgliedsländer der EU auch profitieren können. Die Verhandlungen dafür ziehen sich bereits seit über 10 Jahren dahin. GB stehen solche Verhandlungen noch bevor.

Ein weiterer Aspekt sind Handelsbeziehungen mit China. Es bedarf keiner großen Phantasie, um sich auszumalen, dass der unglaubliche Deal mit den USA eine Klausel beinhalten wird, die Handelsbeziehungen mit China weitestgehend einschränkt. Das ist zur Zeit die Leitlinie der US-Außenpolitik. Es kommt also auf eine Entscheidung hinaus: Ein Vertrag ist nur entweder mit China oder mit den USA möglich.

Die Folgen einer epischen Dummheit

Kurz zusammengefasst kann man sagen: GB steht Ende des Jahres ohne Handelsbeziehungen da. Sie stehen mit dem Rücken zur Wand und brauchen Abschlüsse. Ich sehe schon die Unterhändler der EU, der USA und anderer Länder an ihren Fingernägeln feilen, während kostbare Zeit verrinnt. Und um den Schaden zu minimieren, wird man Verträge unterschreiben, die gelinde gesagt suboptimal sind.

Ein weiterer Aspekt, den ich hier streifen möchte, ist der, dass es bei Handelsabkommen schon lange nicht mehr nur um Zölle geht. Es geht um protektionistische Maßnahmen, die als Normen daherkommen und den Ländern, die liefern wollen, bestimmte Standards vorschreiben, die ihre Wirtschaftsstruktur und Politik beeinflussen. Ich erinnere nur an die Diskussion über Chlorhühnchen, aber es gibt andere interessante Themen: China, die Beteiligung Huaweis am 5G-Ausbau, die Pharmaindustrie, Freizügigkeit... Schon wegen dieses Aspekts lohnt die Lektüre des Artikels. Mit dem ironischen Fazit: Willkommen in der Freiheit. Es ist kalt da draußen.

Der Brexit zeigt im brutalst möglichen Ausmaß die Schwäche der repräsentativen Demokratie. Es muss nur ein Schreihals mit einer seltsamen Frisur daherkommen und es irgendwie schaffen, dass die Underdogs der Gesellschaft ihn für den Erlöser halten. Und schon werden politische Entscheidungen Realität, die sich bei näherer Betrachtung als epische Dummheit erweisen.

Aber das macht nichts. Die Geschichte zeigt, dass es in der Politik Wege gibt, über die Dummheiten hinweg zu spielen. Durch eine Ablenkung epischen Ausmaßes. Zum Beispiel durch ein Feindbild, das aus bestimmten Bevölkerungsgruppen oder auch aus anderen Ländern besteht. Es gilt, die Größe der Nation zu wahren und in den Krieg gegen alles zu ziehen, was die Nation angeblich schwächt.

Wir können alle hoffen, dass nicht nur die Briten ihren Johnson aus dem Amt jagen. Die Welt braucht dringend Politiker mit einem gewissen Maß an Bildung.

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