Wo bleiben unsere Werte?

Montag, 15.03.2021

Mirko Matytschak

Ich hatte immer eine gewisse Abneigung gegen die Ansicht, dass man den Menschen in unserer Gesellschaft die richtigen Werte vermitteln müsse. Warum die Ansicht ein wenig problematisch ist, können wir zurzeit wieder einmal gut beobachten.

Ohne mich an ein einziges Detail erinnern zu können, weiß ich noch, dass an der Hochschule für Politik in München eine werteorientierte Politik gelehrt und als Vordenker einer solchen Max Weber verehrt wurde. Fragt mich bitte nicht nach Details, den Rest habe ich vergessen*.

Aber ich kann verraten, warum ich das für Mumpitz halte und warum ich der Meinung bin, dass der Ehrenkodex der CSU von vorneherein zum Scheitern verurteilt war – und warum wir weitere Affären in der Art erwarten können.

Werte sind nämlich nicht etwas, was von außen an Menschen herangetragen werden und schon gleich gar nicht durch Strafen abgesichert werden kann.

Werte haben mit der charakterlichen Struktur des Menschen zu tun. Diese entsteht früh im Leben der Kinder und hat damit zu tun, wie die Kinder mit Emotionen und Konflikten umgehen. Und das lernen sie von ihrer Umgebung.

Wie Werte ausgemerzt werden

Angenommen ein Kind wächst in einer gutbürgerlichen Familie auf. Die Familie ist sehr auf ihren Ruf bedacht, die Kinder werden auf höhere Schulen geschickt, Schwierigkeiten mit Geld gelöst und Probleme unter den Teppich gekehrt, weil die Meinung der Nachbarn und der Gesellschaft, mit der sich die Familie umgibt, extrem wichtig ist.

Ich behaupte, dass es ein Kind sehr schwer hat, in einer solchen Familie das Gefühl für Ehrlichkeit und Verbundenheit, das alle Kinder auszeichnet, in das Erwachsenenalter zu retten. Und wenn das tatsächlich gelingt, dann steht erst einmal ein Bruch mit der Familie an, denn das Übernehmen der Tradition bedeutet, dass dem Schein alles geopfert wird.

Es ist in Ordnung, wenn Ihr mir vorwerft, ich würde hier ein Klischee pflegen. Das ist richtig und man erlebt immer wieder, dass selbst in der korruptesten und kriminellsten Umgebung Kinder aufwachsen, die sich später als grundehrliche Menschen auszeichnen. Das ist eine Frage der Resilienz – und damit der Wahrscheinlichkeit.

Bleiben wir einmal bei dem, was wahrscheinlich ist. Und da kann ich folgendes sagen: Wenn die gepflegte Unehrlichkeit einer gutbürgerlichen Fassade auf die wilde Lebensfreude der Kinder trifft, entstehen Konflikte. Die Kinder geben entweder ihren Lebenswillen auf und passen sich an. Wenn alles „gut“ geht, findet man sie in den hoch bezahlten Posten unserer Wirtschaft und Politik wieder.

Oder sie internalisieren den Konflikt und bekommen ein Problem. Und wenn sie nicht wie Max Strauß enden wollen, schlagen sie mit diesen Problemen bei Leuten wie mir auf – zumindest bis vor ein paar Jahren. Wenn sie erkennen, dass das nicht ihr persönliches Problem ist, kotzen sie sich erst einmal über ihre Familien und die gesellschaftliche Umgebung aus. Und dann, wenn alles gut geht, erobern sie sich Stück für Stück ihre Lebensfreude zurück.

Und im Rahmen dessen können wir beobachten, wie sich ganz natürlich Werte wie Empathie und Ehrlichkeit aus der charakterlichen Maske schälen. Es braucht keinen Priester, keinen Papst und keine Philosophen, damit die Werte sich entwickeln können. Sie sind einfach da, weil sie zur Natur der Menschen gehören.

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* Wenn ich heute nachschaue, finde ich das hier.

 

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