Glyphosat: Eine diffuse Analyse zugunsten der Lobby

Mittwoch, 16.03.2016

Mirko Matytschak

Im Spiegel versucht sich eine Autorin am Thema Glyphosat. Man merkt: Sie hat alle Merkmale des für den Spiegel typischen Schreibstils gelernt. Was sie aber nicht gelernt hat, ist Recherche und das intelligente Ziehen von Schlüssen aus den vorliegenden Fakten. Dumm nur, dass solche Artikel immer noch zur Meinungsbildung in Deutschland beitragen.

Schon im Titel des Artikels wird klar, wohin die Reise gehen wird: „Glyphosat im Urin: Panikmache auf Verbraucherkosten“. Wer nun erwartet, unter diesem Titel eine faktenorientierte Abwägung der verschiedenen Standpunkte nach den Regeln guten Journalismus zu finden, setzt sich dem Verdacht aus, an einer bedenklichen Form selbstschädigender Naivität zu leiden.

Die Autorin des Artikels verwendet Begriffe wie „diffuse Ängste“ und „methodisch schwache Untersuchungen“ und erzeugt damit eine gewisse Grundstimmung, die sie mit halbgaren „Fakten“ unterfüttert.

Zahlende Freiwillige

Sie kritisiert zwei Untersuchungen zum Thema Glyphosat, eine vom Umweltinstitut München über Glyphosat im Bier und eine von landwende.de über Glyphosat im Urin, bei der 2000 Freiwillige untersucht wurden.

Zitat:

Die Probanden mussten die Untersuchung selbst bezahlen. Inwiefern die Stichprobe aus knapp 2000 Freiwilligen repräsentativ für Deutschland ist, ist unklar.

Es mag ein kurioses Detail sein, dass die Teilnehmer für die Studie gezahlt haben. Inwiefern dieses Detail die Aussage der Studie beeinträchtigen könnte, ist nicht nachvollziehbar. Die Studie muss, was die Bevölkerungsschichten anbetrifft, gar nicht repräsentativ sein. Wir können nämlich davon ausgehen, dass sich wegen der Omnipräsenz von Glyphosat in praktisch allen Lebensmitteln die Belastungen in allen Bevölkerungsschichten gleich verteilen.

Wenn sie schon einmal das Detail erwähnt, dass die Teilnehmer die Studie selbst bezahlt haben, dann sollte die Autorin auch hinzufügen, dass das bei den ökologisch orientierten wissenschaftlichen Instituten eine gewohnte Praxis ist. Solche Studien werden nicht von der öffentlichen Hand unterstützt und wenn es keine freiwilligen Teilnehmer gäbe, dann gäbe es auch die Studien nicht.

Wir hätten in den Monaten und Jahren nach Tschernobyl keine verlässlichen Messungen der Radioaktivität von Lebensmitteln gehabt, wenn nicht Freiwillige diese Tests bezahlt hätten.

Aber die Autorin stellt die beiden Sätze nicht zufällig nebeneinander. Sie will ein diffuses Gefühl auslösen, nämlich, dass das Ergebnis der Studie durch „zahlende Teilnehmer“ verzerrt worden sei. Man fühlt sich unwillkürlich an „gekaufte Wähler“ erinnert. Diese Schreibtechnik hat sie beim Spiegel gelernt, es ist ein exzellentes Beispiel dafür, was der Spiegel unter „Journalismus“ versteht.

Die politische Bedeutung

Nun klärt uns die Autorin über die politische Bedeutung der Diskussion über Glyphosat auf. Es soll nämlich in der EU über die Verlängerung der Zulassung von Glyphosat als Pestizid diskutiert werden. (Mittlerweile ist diese Entscheidung vertagt worden.)

Da hat sie doch tatsächlich ein Faktum eingestreut. Und wenn die beiden Studien des Umweltinstituts und des BioCheck-Instituts dazu beigetragen haben sollten, zu verhindern, dass die Verlängerung einfach in einem stillen Kämmerchen in Brüssel durchgewunken wird, könnte man die Studien bereits als Erfolg bezeichnen.

Warum eigentlich? Warum sollte jemand verhindern wollen, dass Glyphosat als Pestizid eingesetzt wird? Zum einen natürlich, weil man sagen könnte, dass eine Landwirtschaft, die Jahr für Jahr tonnenweise Gift auf unsere Äcker schüttet, ohnehin einmal neu überdacht werden sollte.

Zum andern aber, weil sich zum Erstaunen aller Beteiligten herausstellt, dass die ausgebrachten Gifte giftig sind. Damit konnte nun aber wirklich niemand rechnen.

Aber wie das so ist, mit der biologischen Wirksamkeit: Wenn die Betroffenen nicht unmittelbar nach der Einnahme tot umfallen, dann kann man immer behaupten, dass eventuelle gesundheitliche Schäden ganz woanders herkommen könnten, als von dem Wirkstoff, der gerade zur Diskussion steht. Der Hersteller wiederum nimmt diese Schwierigkeit des Nachweises als Argument für die Behauptung, dass sein Gift nicht giftig ist.

Wie kann man nun die Schädlichkeit eines Stoffes nachweisen? Zum Beispiel, indem Tierversuche mit verschiedenen Dosierungen oder Langzeitstudien mit Kontrollgruppen vorgenommen werden. Zur Absicherung der Reproduzierbarkeit muss man das ganze wiederholen etc. pp.

Das alles kostet viel Geld, das keiner ausgeben will, und so nimmt der Staat die Industrie in die Verantwortung und lässt sie die Studien selbst bezahlen.

Was ist wissenschaftlich?

Die Industrie geht nun ihrerseits her und gestaltet die Studien so, dass möglichst das gewünschte Resultat herauskommt. Alles andere wäre eine faustdicke Überraschung.

Natürlich ist das nicht so einfach. Die Studien müssen schon „wissenschaftlichen Kriterien“ genügen. Gerade das Thema der biologischen Wirksamkeit von Stoffen im Körper lässt hier viel Spielraum, eben weil es nicht trivial ist.

Wir müssen diese Frage hier nicht in aller Tiefe abhandeln. Wir können nur eins sagen: Die Gelder, die benötigt werden, um solche Forschung zu bezahlen, werden zum großen Teil von der Industrie selbst aufgebracht. Und damit ist natürlich auch die Richtung vorgegeben, in die geforscht wird. Daran wiederum hängt die Festlegung der Kriterien, was denn als wissenschaftlich gilt und was nicht. Im Grunde genommen reicht es, die Kriterien so anzusetzen, dass eine unabhängige Forschung die Mittel für eine "wissenschaftliche" Bearbeitung der Thematik nicht aufbringen kann.

Und wenn die Mittel aufgebracht werden, dann kann man die Arbeit immer noch diskreditieren. Und wenn das nicht im wissenschaftlichen Diskurs möglich ist, hilft die Presse mit etwas Stimmungsmache nach.

Damit wären wir zurück beim Thema.

Wissenschaft á la Spiegel

Die Institute suchen nun nach Glyphosat im Urin und im Bier. Naturgemäß sind das sehr geringe Mengen – solche Giftstoffe wirken eben bereits in sehr geringen Dosierungen. Was fehlt, ist ein Vergleich, der ein Bild vermittelt, wie hoch die gefundenen Konzentrationen sind. Also vergleichen die Institute die gefundenen Werte mit den zulässigen Grenzwerten im Trinkwasser.

Dies wird von der Spiegel-Autorin in einer Weise kommentiert, die man im Original gelesen haben muss. Zitat:

Trinkwasser gilt allerdings nicht ohne Grund als eines der am besten kontrollierten Lebensmittel in Deutschland. Die Grenzwerte wurden einst pauschal an der Nachweisgrenze festgelegt, also so niedrig, dass man kein einziges Schadstoffmolekül finden durfte.

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Kein einziges Molekül!!!

Wie stellt sich die Autorin den Nachweis eines Wirkstoffes vor? Dass hier Wissenschaftler mit einem Molekülfischernetz im bayerischen Bier herumfischen, um ein Glyphosat-Molekül zu finden? Was für ein gigantischer Schwachsinn, der hier verbreitet wird. Wie konnte solch ein Absatz je geschrieben werden? Wie konnte er je die Überprüfung durch die Redaktion überleben?

Der wahrscheinlichste Grund dafür ist, dass der Absatz bewusst so gelassen wurde, weil ein Vergleich mit „Nichts“ immer absurd erscheint. Der Absatz wurde so gelassen, um eine gutturale Stimmung zu erzeugen, die sich in einem Satz so liest:

Verbraucher zahlen dafür, dass jemand fast nichts mit nichts vergleicht.

Das ist absolut unterstes Stammtischniveau. Davon abgesehen, dass „die Verbraucher“ das gar nicht zahlen. Gezahlt haben es nämlich die Freiwilligen. Und das sind nicht „die Verbraucher“, sondern Menschen, die ab und zu auch einmal Verantwortung übernehmen, indem sie etwas bezahlen, was sie für sinnvoll halten und was nicht getan würde, wenn sie es nicht bezahlen.

Warum schreiben die solchen Unsinn?

Es gibt keinen Zweifel, dass der Artikel schlecht recherchiert ist und dass er billige Mechanismen der Stimmungsmache verwendet, die wir in ähnlicher Form in der Bild-Zeitung finden können. Nun gibt es ja immer noch Leute, die behaupten, der Spiegel betreibe Qualitätsjournalismus. Tatsächlich aber lassen sich in jeder Ausgabe des Spiegel mehrere Artikel dieser „Qualität“ finden.

Die Frage ist nun: warum machen die das?

Um diese Frage erschöpfend zu beantworten, könnte man eine größere Menge solcher Artikel analysieren und daraus eine Art Gesamtweltbild des Spiegel* zimmern. (* Setzen Sie hier wahlweise den Namen eines anderen Mediums ein.) Dieses Weltbild ist ein Konglomerat an gesellschaftspolitischen Gemeinplätzen und Lobby-Interessen. Journalisten sind gehalten, diesem Weltbild zu entsprechen, sonst müssen sie halt woanders arbeiten. Viele Alternativen gibt es für Journalisten in dieser Zeit nicht.

Mir geht es hier nicht darum, die Presse schlecht zu reden. Mir geht es um das kompetente Lesen. Glaubt nicht jeden Unsinn, den man Euch vorsetzt, gerade wenn er vom Spiegel, von der Zeit, von der Süddeutschen, von der Tagesschau oder sonstwem stammt, der in diesem Land für sich beansprucht, ein Qualitätsmedium zu sein, das die „westlichen Werte“ hochhält. Lest zwischen den Zeilen und sucht nach anderen Standpunkten, die sich oft schon dadurch ergeben, dass man ein Thema innerhalb der normalen Presse querliest.

Und das Glyphosat?

Was die Schädlichkeit von Glyphosat anbetrifft, so hielte ich es für eine politische Selbstverständlichkeit, eine unabhängige große Langzeitstudie der biologischen Wirkung geringer Dosierungen zu beauftragen. Es gibt den gerechtfertigten Verdacht, dass geringe Dosierungen über längere Zeit ebenso krebserzeugend sind, wie die Wirkung höherer Dosierungen über kurze Zeit. Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, dass so etwas vorkommt.

Bis diese Studie ein Ergebnis zeigt, sollte Glyphosat verboten werden. Punkt.

Quellen

Artikel SZ vom letzten Jahr über die zweifelhafte Rolle des Bundesamts für Risikobewertung im Fall Glyphosat:

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kampf-um-glyphosat-wenn-leserbriefe-von-monsanto-als-studien-gelten-1.2570374

 

Auch der BUND äußert sich zum BfR:

 

http://www.bund.net/nc/presse/pressemitteilungen/detail/artikel/glyphosat-bewertung-warum-das-bundesinstitut-fuer-risikobewertung-zu-einem-voellig-anderen-urteil-k/

 

Und hier Lobbycontrol:

 

https://www.lobbypedia.de/wiki/Bundesinstitut_für_Risikobewertung

 

Artikel zu Glyphosat und Grenzwerten:

 

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/glyphosat-streit-um-grenzwerte-1.2541317

 

Und genau dazu das Umweltbundesamt:

 

http://www.umweltbundesamt.de/themen/neue-uba-untersuchung-zu-glyphosat

 

Das Umweltinstitut in München:

 

http://www.umweltinstitut.org/aktuelle-meldungen/meldungen/glyphosat-praktisch-jeder-belastet.html 

 

Kalifornien gegen Monsanto:

 

http://www.ackergifte-nein-danke.de/news/225-glyphosat-vor-gericht-monsanto-vs-kalifornien.html

 

Überhaupt eine interessante Initiative:

 

http://www.ackergifte-nein-danke.de/news/index.html

 

Die Links hat Maximilian beigetragen. Vielen Dank für die Recherche!

 

 

 

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