Der gerechte Krieg - Teil 1

Montag, 30.05.2022

Mirko Matytschak

Ich habe in einem Beitrag meines Blogs versucht, mir selbst und anderen zu erklären,  warum Russland diesen Krieg gegen die Ukraine führt. Ich habe dabei versäumt, ausreichend Kritik an Putin, und… ja, Putin zu äußern und an allen, die je geglaubt haben, dass man mit Putins Russland irgendeine Art friedlicher Koexistenz führen kann. Mea culpa, mea maxima culpa!!! Ich gelobe Besserung.

Was kann ich nur tun, um diese Schuld abzutragen? Das mindeste, was ich tun hätte können, wäre, dem Beispiel der „Anstalt“ zu folgen, und einmal ein Bündel Putin-Witze zum Besten zu geben. Aber wem hilft das schon? Wird eine Person weniger getötet, wenn wir Putin hier lächerlich machen?

Überhaupt ist er ja nicht nur lächerlich, sei es im Sinne einer etwas beschränkten Eitelkeit, oder in irgendeinem anderen Sinn. Folgt man den Verlautbarungen in unseren großen Medien, ist er offensichtlich schwer krank, so krank, so krank, dass wohl seine Urteilsfähigkeit in Mitleidenschaft gezogen ist.

Das ist fatal, wenn man bedenkt, dass er der Präsident eines Landes mit Atomwaffen ist und als letzte Instanz über deren Einsatz befiehlt. Stellt Euch vor, er würde auf den berühmten roten Knopf drücken lassen, einfach aus einer kranken Laune heraus – und niemand kann ihn bremsen, ohne Befehlsverweigerung zu begehen.

Es ist nie gut, wenn ein Mensch so viel Macht hat

Niemand weiß das so gut zu beschreiben, wie ein Ex-Präsident eines anderen Landes mit Atomwaffen, in dem die Präsidenten über ebenso viel Macht verfügen, und der als ehemals alkoholkranker Mensch sehr gut weiß, wie sich Krankheiten auf die Urteilsfähigkeit von Menschen auswirken können. Zitat:

Das Resultat ist das Fehlen von Kontrollen und Gegengewichten in Russland und die Entscheidung eines einzigen Mannes, eine völlig ungerechtfertigte und brutale Invasion des Irak zu starten.

Dem ist nichts hinzuzufügen, außer natürlich der Korrektur, die dann folgte:

Ähhhm, ich meine, die Ukraine.

Die Symmetrie der Verhältnisse in Russland und den USA könnte nicht besser dargestellt werden, als durch diesen klassischen freud’schen Versprecher. Und das bringt uns natürlich zu der Frage, ob man die Kriege, die von den USA geführt oder angeleitet werden, nicht auf die gleiche Weise beurteilen müsste, wie es eben mit dem Krieg gegen die Ukraine geschieht. Das ist eine rechtliche Frage, in dem Sinne: Gilt das Recht auch in den USA?

In dem Satz von Herrn George W. Bush steckt noch mehr. Nämlich die Adjektive „ungerechtfertigt“ und „brutal“. Damit weist er auf die zwei Ebenen hin, auf denen man diesen Krieg betrachten kann. Die eine ist die Ebene des Rechts, genauer des Völkerrechts. Krieg ist immer schlecht, aber das Völkerrecht definiert ein paar Situationen, in denen Kriege gerechtfertigt sein könnten.

Um es vorweg zu nehmen: Der Einmarsch in die Ukraine ist in keinster Weise mit dem Völkerrecht in Einklang zu bringen. Aber das Recht ist überall gleich und überall gleichermaßen anzuwenden. Wer das Völkerrecht als Argument einsetzt, um den Krieg Russlands gegen die Ukraine zu verurteilen, muss das Völkerrecht auch einsetzen, wenn es um die Beurteilung unserer eigenen Kriege bzw. der Kriege unserer Verbündeten geht.

Dieses Unterfangen hat auf kompetente und wortgewandte Art der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof, Thomas Fischer, geleistet. Ich verweise hier auf seinen Beitrag,  den ich nur empfehlen kann, weil er die rechtliche Diskussion besser hinbekommt, als ich das kann.

Die zweite Ebene, die durch das Wort „brutal“ gekennzeichnet ist, weist auf die moralische Ebene der Diskussion hin. Welche Bedeutung genau will eine Person transportieren, wenn sie einen Krieg „brutal“ nennt? Sind nicht alle Kriege brutal? Damit ich nicht erneut Schuld anhäufe, möchte ich an der Stelle versichern, dass es hier nicht darum geht, den Angriffskrieg auf die Ukraine zu relativieren, nach dem Motto: „Andere Kriege sind doch auch brutal“. Es geht mir darum, dass die banale Tatsache, dass ein Krieg brutal ist, in diesem Kontext eine bestimmte Bedeutung transportiert. Es soll Empörung entstehen, der Krieg wird emotionalisiert, er soll als „der gerechte Krieg“ dargestellt werden.

Das ist der Tenor der Berichterstattung in den großen Medien: Die Russen sind Kriegsverbrecher, die jede Menge Gräueltaten begehen, während die Ukrainer die Helden sind, die sich ritterhaft bis zum letzten Mann (zur letzten Frau) verteidigen. Das machen die Ukrainer sehr geschickt, und mit großzügiger Hilfe von Waffenherstellern, die bei der Gelegenheit ihre neuesten Produkte einmal im realen Einsatz zeigen. Mit genauen Typangaben, damit Sie bei der Bestellung der Drohnen keine Fehler machen.

Das Zögern des Herrn Scholz

Von den Verlautbarungen in den Medien her könnte man fast den Eindruck gewinnen (Achtung: Unsinn!), dass die Ukraine drauf und dran ist, diesen Krieg zu gewinnen.

Und wenn sie ihn nicht gewinnt, dann sind wir Deutschen schuld, in Person des zaudernden Kanzlers Scholz, der offensichtlich ein Problem damit hat, mit der bereitwilligen Lieferung von „schweren Waffen“ in diesen Krieg einzutreten. (BTW: Ab welchem Gewicht ist eine Waffe eigentlich „schwer“?)

Nun muss ich das tun, was ich nie für möglich gehalten hätte, nämlich, dass ich einmal Herrn Scholz in Schutz nehme. Bei uns gibt es jene Korrekturmechanismen, von denen Herr Bush spricht. Herr Scholz wird sich für seine Entscheidungen verantworten müssen. Das muss Herr Putin nicht und Herr Bush hat es auch nicht gemusst. Was mich wirklich bestürzt, ist die Tatsache, wie „die Öffentlichkeit“, sprich: die großen Medien, unseren Kanzler dazu drängt, in einen Krieg einzutreten.

Ja, ich weiß, was die in einem 4-Wochen-Kurs der Medien zu Völkerrechtlern umgeschulten Leser jetzt sagen wollen: Die Lieferung von Waffen an eine der Parteien ist nicht der Eintritt in den Krieg. Da ist nichts von im Völkerrecht zu finden. Das ist aber nicht die Frage, um die es hier geht. Die Frage ist: Wie nimmt Herr Putin unsere Lieferung von Waffen auf? Sieht er darin einen Kriegseintritt Deutschlands oder der EU oder der NATO?

Dann lehnt Euch doch einmal einen Augenblick zurück und überlegt, was Ihr selbst gesagt habt: Der Putin ist krank, er ist unberechenbar, er ist brutal und wenn „wir“ ihm die Ukraine „lassen“ (wer immer „wir“ ist), wird er nicht genug damit haben und Polen, Litauen, Lettland, Estland angreifen. Wenn Putin wirklich so wäre, wie er hier dargestellt wird, wäre dann nicht das Zögern des Herrn Scholz, das Überlegen, das sich Zeit lassen, die rationalste Reaktion, die man sich vorstellen kann?

Wenn der Krieg zwischen Russland und der NATO beginnt, sitzt keiner, auch nicht der Herr Putin, mit dem Völkerrecht auf dem Schoß da, und überlegt sich, welche seiner Befehle mit dem Völkerrecht vereinbar sind.

Fazit Teil 1

Ich muss zu meiner täglichen Arbeit übergehen und meine Gedanken an dieser Stelle erst einmal abzwicken. Wir sehen, dass die Auseinandersetzung mit dem Krieg in der Ukraine zwei Ebenen hat: Eine rechtliche und eine emotionale. Was die emotionale Überladung der Geschehnisse bis hin zur Wahrnehmung eines „gerechten Kriegs“, in den einzutreten sich lohnt, anrichten kann, habe ich skizziert.

Die rechtliche Seite der Medaille ist wie folgt: Wenn wir den völkerrechtswidrigen Einmarsch Russlands in die Ukraine verurteilen und Putin als Oberbefehlshaber gerne vor Gericht stellen würden, folgert daraus, weil das Recht überall gilt und unteilbar ist, dass wir die Verantwortlichen für den Eintritt in den völkerrechtswidrigen Krieg im Kosovo 1999 ebenfalls vor Gericht stellen müssten.

Wie praktisch, dass es den derzeit ziemlich unbeliebten Gerhard Schröder treffen würde, der als damaliger Kanzler natürlich die Verantwortung trägt. Vielleicht erhöht das die Chancen auf ein Verfahren... Im Übrigen erzählen sowohl Joschka Fischer als auch Gerhard Schröder, dass die USA Deutschland 15 Minuten für die Entscheidung ließen, ob sie in den Krieg eintreten oder nicht. Und die Moral von der Geschicht‘? Lasst Euch Zeit mit dem Kriegseintritt.

Kommen wir nochmal zum Völkerrecht und zu Kriegsverbrechen zurück. Mit der gleichen Logik sollten wir auch die Verantwortlichen für 1,5 Millionen Tote durch das Embargo gegen den Irak ab 1990 vor Gericht stellen. Immerhin hat Deutschland dieses Embargo mitgetragen. Von den völkerrechtswidrigen Angriffskriegen unserer „engsten Verbündeten“ einmal ganz abgesehen, die wir beim Internationalen Gerichtshof gerne anzeigen können. Auch wenn es nichts bringt, denn die Urteile des Internationalen Gerichtshofs werden von den USA nicht anerkannt. Weitere Ideen zum Thema des konsequenten Einsatzes des Rechts finden Sie in Thomas Fischers Kolumne.

Im folgenden Teil möchte ich mich noch ein wenig mit den Grünen und mit Sanktionen beschäftigen. Ich hoffe, ihr seid dann wieder dabei. Ich freue mich auf Eure Anregungen und Kommentare.

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