Die hohe Wissenschaft in den Niederungen der Politik

Montag, 22.02.2021

Mirko Matytschak

Nun ist es also wissenschaftlich, wenn auch nicht hochwissenschaftlich, belegt: Das Virus soll aus einem chinesischen Labor ausgekommen sein. Die Diskussion darüber wirft ein nicht gerade schmeichelhaftes Licht auf die Wissenschaft.

Höhepunkt der Diskussion ist ein bemerkenswertes Interview mit Herrn Wiesendanger, der eine "Studie" zum Ursprung des SARS Cov-2-Virus veröffentlicht hat.

Das fängt ja schon mal gut an, mit der Ansage von Herrn Wiesendanger:

Seit 15 Monaten gibt es für einen Wissenschaftler kein wichtigeres Thema mehr, als den Ursprung dieser weltweiten Pandemie zu suchen.

Entweder, der Herr Wiesendanger oder meine Wenigkeit hat den Schuss nicht gehört. Nach meinem Dafürhalten gibt es kein wichtigeres Thema, als die Frage, wie wir diese Pandemie so schnell wie möglich wieder loswerden.

Nach meinem Dafürhalten ist die Frage, ob man China in irgend einer Form für die Pandemie verantwortlich machen kann, ein Tummelplatz für Wichtigtuer in der Politik, die sich mit China-Bashing profilieren wollen, aber keinesfalls eine Frage, mit der sich die Wissenschaft priorisiert beschäftigen sollte.

Aber wenn seine Uni Geld für so ein Projekt hat, warum also nicht eine "Indizienliste" erstellen? Freilich fehlt dieser Indizienliste das Attribut "hochwissenschaftlich", denn nach Aussage der Uni ist es nämlich so:

Sie [Wiesendangers Studie] liefert keine hochwissenschaftlichen Beweise, wohl aber zahlreiche und schwerwiegende Indizien.

Also, hochwissenschaftlich ist die Studie schon mal nicht. Wenn man den Satz zwischen den Zeilen liest, könnte er sinngemäß darauf hinaus laufen, dass jemand Zeit und Geld für eine unwissenschaftliche Liste von unbewiesenen Behauptungen investiert hat.

Aber sei's drum, das ist nicht der Grund, warum ich diesen Post schreibe. Der Grund ist eine Passage, die ich etwas ausführlicher zitieren muss, damit Ihr Euch das Problem, das sich in dieser Passage zeigt, so richtig auf der Zunge zergehen lassen könnt.

Ihre Ergebnisse werden bisher vor allem in rechten Kreisen und Netzwerken gelobt. Das ist ein Publikum, das eher ein offenes Ohr für Verschwörungstheorien hat und die Corona-Krise nicht wirklich ernst nimmt.

Wenn Sie die Radiosender in Hamburg, den NDR, auch unterschiedliche Zeitungen und Medien, die sachlich darüber berichten, als rechts darstellen, wird das der Situation nicht gerecht.

An die dachten wir eher nicht, sondern an den Zuspruch der AfD, Tichys Einblick, Compact.

Nein, wenn ich mir die Rückmeldungen anschaue, die ich erhalten habe, kann ich hier überhaupt keinen Bezug zwischen dem Meinungsbild und der politischen Überzeugung herstellen. Wo Sie recht haben: Diese Korrelation gibt es natürlich in den USA. Es war Ex-Präsident Donald Trump, der frühzeitig vorgeprescht ist und diese Laborunfall-These verbreitet hat. Dadurch gab es in akademischen Kreisen die Situation, dass Wissenschaftler mit ähnlichen Schlussfolgerungen Vorbehalte hatten, das öffentlich zu machen, weil sie Trump oder rechte Medien nicht unterstützen wollten. Jetzt scheint es eine Kehrtwende zu geben.

Also zunächst einmal möchte ich betonen, dass die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Untersuchung − wenn es sich denn um eine handelt − nicht um einen Deut glaubwürdiger oder unglaubwürdiger dadurch werden, dass bestimmte Kreise diese Ergebnisse für ihre Argumentation verwenden.

Aber was der Herr Wiesendanger hier andeutet, ist ungeheuerlich: Dass nämlich Wissenschaftler ihre Erkenntnisse zurückhalten oder möglicherweise eine Forschung erst gar nicht beginnen, wenn sie damit rechnen können, dass die Ergebnisse ihrer Arbeit von den falschen Personen verwendet werden könnten und ihnen damit irgendein Vorschub geleistet wird.

Wisst Ihr was? Dann könnt Ihr eigentlich gleich einpacken. Und zwar alle! Auf Wissenschaft, die solche Rücksichten nimmt, kann eine Gesellschaft gerne verzichten. Da können wir unser Steuergeld gleich in Freibier für alle investieren.

Und was den Herrn Wiesendanger und seine Forschungen anbetrifft: wenn die Nanowissenschaftler in Hamburg nichts zu tun haben, könnten sie sich nützlich machen, indem sie sich mit der Entwicklung von Luftreinigungsgeräten für Schulen beschäftigen.

Denn selbst wenn ein Beweis für die Labortheorie auftauchen würde − wovon wir nicht ausgehen können − würde das in China noch weniger interessieren, als wenn dort ein Sack Reis umfällt. Es ist also völlig müßig, sich mit diesen Anschuldigungen zu beschäftigen.

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