Die Hochkonjunktur der Eidesstattlichen Versicherung

Sonntag, 19.01.2025

Mirko Matytschak

Im Skandal um den erfundenen Vorwurf der sexuellen Belästigung gegen einen Politiker der Grünen spielt eine „Eidesstattliche Versicherung“ eine große Rolle. Was hat es damit auf sich? Und ist das nicht ebenso eine Erfindung, wie die Vorwürfe gegen den Politiker? Aber warum würde jemand so etwas machen wollen?

Ich möchte mich nicht groß mit der Nacherzählung der Geschichte aufhalten. Die könnt Ihr in der Presse rauf und runter lesen. Daher kurz: Eine Frau, die sich als Anne K. ausgibt, ruft beim RBB an, und behauptet, der Politiker Stefan Gelbhaar hätte sie sexuell belästigt.

Die Sorgfaltspflicht der „vierten Gewalt“

Das ist nun eine sehr massive Beschuldigung und man könnte meinen, dass der Sender erst einmal ausgiebig recherchiert, bevor er die Beschuldigung öffentlich macht. Ich habe in der Schule gelernt, dass in unserer Gesellschaft die Unschuldsvermutung gilt, und dass die Feststellung einer Schuld den Gerichten obliegt.

Es stellt sich hier die Frage, ob ein Fernsehsender überhaupt die richtige Stelle ist, um über eine solche Beschuldigung zu urteilen. Aber es gibt Fälle, in denen der „Presse“ als vierter Gewalt in der Demokratie ein gewisses Recht auf Aufklärung von Sachverhalten zusteht, und zwar dann, wenn zu befürchten ist, dass eine Straftat aufgrund von Machtmissbrauch ungeahndet bleibt.

Im Fall der Beschuldigung gegen Herrn Gelbhaar liegt diese Situation definitiv nicht vor. Eine Anne K. oder wer auch immer hätte mit guten Erfolgsaussichten die sexuelle Belästigung bei der Polizei zur Anzeige bringen können. Aber nichts dergleichen passiert.1

Was stattdessen passiert, ist, dass der RBB sich ohne persönliche Begegnung eine Versicherung an Eides statt geben lässt, dass die Behauptung wahr ist. Und nachdem die Anne K. die Versicherung abgegeben hat, wird die Beschuldigung ohne weitere Überprüfung veröffentlicht. Das war das Ende der politischen Karriere des Herrn Gelbhaar.

Wie Euch möglicherweise zu Ohren gekommen ist, gibt es keine Anne K., weshalb wir auch wissen, dass kein persönlicher Kontakt vorlag und die „Eidesstattliche Versicherung“ auf indirektem Weg erfolgt sein muss. Das Manöver der angeblichen Anne K. stank zum Himmel, aber die Story war einfach zu gut, um sie hinterm Berg zu halten.

Der RBB hat sich zum Werkzeug der politischen Demontage des Herr Gelbhaar machen lassen. Und jetzt zieht der Sender das As der Eidesstattlichen Versicherung aus dem Ärmel, die wohl die besonders hohe kriminelle Energie der angeblichen Anne K. belegen soll. Aber so funktioniert das nicht:

Schuld am Ende der politischen Karriere von Stefan Gelbhaar ist der RBB, denn er hat die Beschuldigung unhinterfragt in der Öffentlichkeit verbreitet.

Die angebliche Eidesstattliche Versicherung kann sich der Sender ans Bein schmieren, weil ein Radio- und Fernsehsender schlichtweg nicht die Kompetenz hat, eine solche Versicherung abzunehmen, wie man leicht zum Beispiel der Wikipedia entnehmen kann:

Eine Eidesstattliche Versicherung, die nicht vor einer hierzu bemächtigten Behörde abgegeben wird, ist rechtlich genauso unbeachtlich wie ein öffentlich abgegebenes "Ehrenwort" und unterliegt nicht der Strafandrohung des § 156. Dennoch ist sie ein oft gebrauchtes Mittel, einer Aussage im öffentlichen Meinungsbildungsprozess mehr Überzeugungskraft zu geben.

Ich fasse zusammen: Der RBB nutzt eine „Eidesstattliche Versicherung“, die abzunehmen er gar nicht befugt ist, um eine Behauptung verbreiten zu können, ohne sich mit der Arbeit der Recherche belasten zu müssen.

Die Eidesstattliche Versicherung wird hier als Freibrief verstanden, jede Behauptung, die eine gute Story ergibt, zur Veröffentlichung zu bringen.

Und das Infame dabei ist: Wenn jemand abseits aller politischen Opportunität Zweifel an der Aussage der erfundenen Frau Anne K. gehabt hätte, wären diese zerstreut worden, weil – wie die Wikipedia weiß – die „Eidesstattliche Versicherung“ im öffentlichen Meinungsbildungsprozess mehr Überzeugungskraft hat.

Das Fazit ist: Glaubt keinen Eidesstattlichen Versicherungen, die nicht vor einem Gericht festgestellt wurden – und selbst dann sind noch Zweifel angebracht. Ich gehöre normalerweise nicht zu den Bashern des ÖRR, aber diese Mischung aus unlauteren Faktenchecks und angeblichen Eidesstattlichen Versicherungen ist von Fake News in den asozialen Medien nicht zu unterscheiden. Die Art, in der der RBB die Veranwortung für dieses Desaster von sich schiebt, ist schlichtweg widerlich.

 

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1 Hier ähnelt der Fall der Causa Till Lindemann, wo vom Gericht festgestellt wurde:

Mutmaßliche Geschädigte hätten sich nicht an die Ermittlungsbehörden, sondern an Journalisten gewandt, die sich auf das Zeugnisverweigerungsrecht berufen hätten. Daher habe keine Möglichkeit bestanden, Tatvorwürfe ausreichend zu konkretisieren.

Auch hier gab es angebliche Eidesstattliche Versicherungen.

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