Die Anzahl der Milliardäre steigt mit der Angst vor dem Verfall
Montag, 20.01.2025
Manchmal findet man in den großen Medien besonders schöne Kombinationen an Beiträgen, die in der Kombination eine ganz neue Aussage ergeben. Hier haben wir wieder so einen Fall.
Ich blätterte heute ein wenig in n-tv herum, und stieß hier auf folgende Teaser, die unmittelbar nacheinander platziert worden sind.
Da stellt sich natürlich die Frage, ob die beiden Nachrichten irgendwie zusammenhängen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit wäre meine erste Idee diejenige, dass die Milliardäre über ihre Anlagen mehr aufs Konto bekommen, je weniger die Unternehmen, an denen sie beteiligt sind, für ihre Mitarbeiter ausgeben.
Es ist wirklich interessant zu sehen, dass VW seinen Aktionären 4,5 Mrd € ausschüttet, um kurz danach darüber zu jammern, dass das Unternehmen bald pleitegeht – angeblich wegen der hohen Kosten für die Mitarbeiter. Das bereitet natürlich ein schwieriges Verhandlungsjahr. Zitat:
Zwischen 2021 und 2023 schüttete VW etwa 22 Milliarden Euro an seine Aktionäre aus. Alleine für das vergangene Geschäftsjahr waren es 4,5 Milliarden Euro. Begründung dafür war der glänzende Nettogewinn von fast 18 Milliarden Euro.
Schön, dass man mit 18 Mrd € Gewinn 22 Mrd € ausschütten kann. Das sind wahrscheinlich die tieferen Weihen der Betriebswirtschaftslehre, von denen wir Normalbürger keine Ahnung haben.
Die Krise des Unternehmens ist vom eigenen Management hausgemacht und hat damit zu tun, dass es VW nicht gelungen ist, Autos zu bauen, die auf dem Heimatmarkt genügend Käufer finden. Selbst der Kinderbuchautor, der auf der politischen Bühne den Wirtschaftsminister spielt, wagte 2019 eine Voraussage, wie es mit VW weitergehen wird, wenn in der Modellpalette und der Preispolitik keine Korrektur stattfindet:
Wenn Sie 2025 kein E-Mobil für unter 20.000 Euro anbieten, dann werden Sie – so fürchte ich – im Markt scheitern
Habecks Sprecher Robert Säverin sieht in der Ausschüttung übrigens kein Problem:
Auf Nachfrage von Jung, ob es aus politischer Perspektive nicht sonderbar sei, dass VW Gewinne in Milliarden-Höhe macht, aber gleichzeitig über den großen Fehlbetrag klagt, antwortete Säverin: „Das ist nicht sonderbar.“
Er berief sich hier auf unternehmensinterne Entscheidungen. Was er dabei weglässt, ist die Tatsache, dass VW zu einem gewissen Teil in der öffentlichen Hand liegt. Nachdem die 4,5 Mrd € nun fehlen, wird VW Staatshilfen zur Abwendung der Krise, bzw. zum Erhalt der Arbeitsplätze haben wollen. Für die Freunde von Ankündigungen kündige ich das hier schon mal prophylaktisch an.
Woher haben die Menschen diese Ideen?
Ich frage mich ja schon seit langem, wieso die Bevölkerung auf solche Vorkommnisse nicht gereizter reagiert. Ohne allzu sehr ins Vulgäre abzurutschen, könnte man mit Recht und Fug sagen, dass die Menschen großflächig verarscht werden. Aber wer bereitet den Boden für solchen Unsinn, dass das Wohl der Aktionäre die Basis für den Wohlstand in unserem Land sei?
Hier haben wir einen Kommentar, ach was: die „Horrorbilanz“ eines Kolumnisten, der bislang eher mit Tiraden gegen das Gendern aufgefallen ist, als mit fundierten Analysen zum Wirtschaftsgeschehen:
Monat für Monat werden Tausende Arbeitsplätze abgebaut, Unternehmen verlassen das Land wegen zu viel Bürokratie und hoher Energiekosten oder kündigen es an. Die Infrastruktur bröckelt, die Bundeswehr ist blank, Menschen verlieren die Zuversicht und zittern, weil der Staat die innere Sicherheit – scheinbar oder real – nicht mehr gewährleisten kann, wie wir es alle gewohnt waren.
Das ist Propaganda vom Feinsten. Mir klappern die Zähne, dass man es bis Berlin hört, und man wird einen Kanzler Merz unter diesen Umständen wohl nicht verhindern können. Ihr wisst: Das ist derjenige, der findet, dass so viel wie möglich Geld an die institutionellen Anleger fließen sollte. Das Zitat weist ein paar echte Bonmots auf. Besonders beeindruckend ist der Nebensatz „oder kündigen es an“.
Solche Ankündigungen appellieren ohne Rücksicht auf die Realität an Eure Angst. Ihr solltet also Eure politische Ausrichtung insofern korrigieren, dass diese Angst nicht Eure Seele aufisst. Auch toll in dem Zitat ist die Trumpeske Wendung, der Staat könne die innere Sicherheit nicht mehr gewährleisten – „scheinbar oder real“.
Trump bemühte in seinem Wahlkampf 2016 ebenfalls dieses Thema. Konfrontiert mit Statistiken, die unisono das Ergebnis erbrachten, dass die Kriminalität in den USA in den letzten Jahren kontinuierlich abgenommen hatte, sagte er: Es komme nicht darauf an, ob die Kriminalität gestiegen ist oder nicht, sondern wie die Bevölkerung das empfindet.1
Woher also kommt der Glaube an allerlei Unsinn, der in den Köpfen der Leute herumspukt? Kann es sein, dass solche Kommentare oder Kolumnen in den großen Medien am Ende von Desinformation nicht zu unterscheiden sind?
Update 24.01.25: Hier findet man Zahlen zum Rückgang der Tötungsdelikte in Deutschland, zusammen mit Hinweisen zu den Rückgängen bei anderen Delikten.
Update 11.03.25: Hatte ich den Ruf nach Staatshilfen angekündigt? Die neue Regierung wird es schon richten.
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1 Ich finde den Link darauf nicht mehr. Kann mir jemand helfen?
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