Auf dem Weg in die Bananenrepublik
Mittwoch, 28.08.2024
Ihr wisst, wie das so ist. Man will nur kurz ein Video auf Youtube gucken und bleibt dann bei den weiteren Vorschlägen für Videos hängen. Dabei bin ich über einen Beitrag gestolpert, der mich etwas aus der Fassung gebracht hat.
In diesem Video beschreibt eine junge Frau, wie sie von ihrer Krankenkasse abgezockt wird.
Ich fasse kurz zusammen, was das Problem ist. Sie ist angestellt und übt seit ein paar Jahren ein Nebengewerbe als Youtuberin aus. Da gibt es jetzt ein paar Regeln, aber im Prinzip läuft das so, dass eine solche Tätigkeit sozialversicherungsfrei ist, solange der Ertrag unter einem bestimmten Limit bleibt. Die gute Frau macht also alles richtig, meldet ihr Gewerbe an, ruft die beteiligten Behörden an, erkundigt sich und versucht, alles korrekt handzuhaben.
24.000 € Krankenversicherung wegen 1.000 € Versicherungsleistung
Das läuft ein paar Jahre, bis ihre Krankenkasse auf einen Umstand aufmerksam wird, den niemand auf dem Zettel hatte. Vor ein paar Jahren hat sie bei einem Arbeitgeber gekündigt, bei dem sie eine Betriebsrente als Direktversicherung abgeschlossen hatte. Da sie nicht wusste, was sie mit der Versicherung nach der Kündigung anfangen soll, hat sie sich den angesparten Betrag auszahlen lassen, das waren etwas unter 1.000 €.
Damit wurde sie aber Leistungsempfängerin einer Rente, und infolgedessen werden ihre Erträge aus dem Nebengewerbe sozialversicherungspflichtig. Und zwar rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Auszahlung der Versicherung, und für mindestens 10 Jahre.
Ich versuche, das Problem mal rein monetär darzustellen: Sie erzielt etwa 1.000 € Einkommen im Monat aus dem Nebengewerbe. Auf dieses Einkommen muss sie nun ca. 20% Krankenkasse, Zuschlag und Pflegeversicherung zahlen (nach Angaben der Youtuberin, von mir gerundet).
Das sind über 10 Jahre gerechnet etwa 24.000,- €, die sie löhnen muss, ein Gutteil davon rückwirkend, also sofort. Und das nur wegen der Auszahlung von knapp 1.000 € aus der Versicherung. Die Forderung bringt sie in eine finanzielle Bredouille und wenn sie die Beträge stunden muss, droht ein Rückfall in die medizinische Notversorgung.
Ich bin jetzt kein Sozialversicherungsexperte, aber ich vermute, dass diese Forderung völlig rechtens ist und in ihrem Fall halt ein wenig ungünstig für sie ausfällt.
Damit können wir das Thema abhaken, da die Frau kaum eine Chance hat, sich gegen den Bescheid zu wehren1.
Bei uns gilt die Regel, dass Unwissenheit nicht vor Strafe schützt. Und dass man als Unternehmer wissen muss, wie die Dinge mit der Sozialversicherung funktionieren – oder eben nicht funktionieren. Und wenn man es nicht weiß, muss man mit den Nachteilen leben.
Die Intransparenz der Regeln
Aber wenn man diesen Fall etwas näher betrachtet, stellt man fest, dass die Regeln, nach denen hier gespielt wird, völlig intransparent sind. Ein normaler Bürger, der neben seiner Arbeit noch irgendwie seine behördlichen Angelegenheiten regeln muss, kann eigentlich unmöglich wissen, welche Konsequenzen die Auszahlung einer solchen Versicherung haben kann.
Es ist interessant zu sehen, dass die Frau immer wieder das Thema „Nebengewerbe“ in ihren Videos anspricht. Was sind meine Pflichten, was sind die zuständigen Behörden, wo stelle ich welchen Antrag, wie ist das mit der Steuer, etc. pp. Sie will es richtig machen und interessiert sich für diese Themen. Und dann latscht sie in einen solchen stinkenden Haufen.
Das ist es, worauf ich mit diesem Beitrag hinweisen will: Die Intransparenz der Regeln, mit denen sich hierzulande jeder auseinandersetzen muss, die aber keiner zur Gänze kennen kann; schon mal deswegen, weil wir gar nicht die Zeit haben, uns das Wissen alles draufzuschaffen. Aber selbst wenn wir alles wüssten: Eine Gesetzesänderung kann die Regeln jederzeit ändern.
Und damit fehlt eine wichtige Eigenschaft, die eine freie Gesellschaft auszeichnet: Die Rechtssicherheit. Solche Kleinunternehmer können sich auf nichts verlassen. Jeden Tag kann ein unangenehmer Brief von irgendeiner Behörde im Briefkasten liegen, der dem Unternehmergeist den Garaus bereitet.2
Gründen Sie als Erstes eine Rechtsabteilung
Sie wollen sich selbständig machen? Mein Tipp: Gründen Sie als Erstes eine Rechtsabteilung. Ein Steuerberater ist ohnehin obligatorisch, aber besser wäre es, wenn Sie zusätzlich eine Abteilung für Steuermanagement aufbauen, die in enger Abstimmung mit der Steuerkanzlei arbeitet. Rechtliche und finanzielle Fallstricke lauern an allen Ecken und Enden Ihres Unternehmens, da können Sie nicht genügend vorbauen.
Sie betreiben eine Website? Sind Sie noch bei Trost? Denken Sie mal an die Impressumspflicht, die DSGVO-Vorgaben und das Wettbewerbsrecht, verwenden Sie ja keine Fotos, außer diejenigen, die Sie selbst gemacht haben und achten Sie unbedingt darauf, dass auf den Fotos keine Personen, keine Fototapete und auf gar keinen Fall der Eiffelturm zu sehen ist.
Das war jetzt nur die Website, und zwar nicht vollständig, weil ich die Vorschriften zur Barrierefreiheit und das Telemediengesetz vergessen habe. Und im Fall eines Webshops sollten Sie ihre Rechtsabteilung direkt einmal verdoppeln. Ach ja, und die Cookies…
Und nun können Sie sich den anderen Fallstricken widmen, denen Sie ausgesetzt sein könnten.
Auf dem Weg zur Bananenrepublik?
Ich habe ein wenig in den Kommentaren zu dem Video gestöbert und es fällt doch auf, dass viele Leute über eine – sagen wir mal – einfältige Weltsicht verfügen. Gleich mehrere Personen machen die Ampel-Regierung für diese Verhältnisse verantwortlich. Einige sprechen gar vom Kommunismus, der sich hier Bahn bricht.
Die im Video beschriebenen Szenen wirken kafkaesk, deswegen, weil sie aus Franz Kafkas Werken stammen könnten. Der ist 1924 gestorben (also ein paar Jahre vor der Ampelregierung) und hat in seinem Werk die intransparenten Zustände, die die Behörden und Regierungen schaffen, um die kleinen Bürger ihre Kleinheit spüren zu lassen, zu einer literarischen Kunstform erhoben.
Das erinnert mich an eine Buchbesprechung, der ich vor ein paar Jahren über den Weg gelaufen bin (schickt mir den Link, wenn Ihr das Buch findet). Dort beschreibt ein Autor in einem südamerikanischen Land das Unterfangen, eine Schneiderstube zu eröffnen, und zwar ohne Korruption. Das Buch beschreibt das gesamte Abenteuer und wenn ich es richtig erinnere, hat der Autor in mehreren Jahren über 500 Anträge gestellt. Ich kann mich an den Ausgang nicht mehr erinnern, ob er das Gewerbe letztlich zum Laufen bekommen hat.
Das Fazit des Buches läuft darauf hinaus, dass unterentwickelte Länder solche bleiben, wenn sie sich nicht um dieses Problem kümmern. Es beginnt bei der mangelnden Transparenz und der Rechtsunsicherheit, was dann den Boden für die Willkür bereitet. Und der einzige Weg, mit der Willkür umzugehen, ist die Korruption.
Ein Land, das nicht in der Lage ist, nachvollziehbare Vorschriften und Regeln zu formulieren, und das auch noch jedes Jahr den Filz der Vorschriften verdichtet, verhindert, dass Menschen mit unternehmerischem Geist einen Mittelstand bilden. Dieser Mittelstand ist jedoch ein wichtiges Merkmal einer funktionierenden Wirtschaft.
Abbau der Bürokratie durch Unionspolitiker?
Vielleicht erinnern sich noch ein paar Leute, dass der Herr Oettinger vor einigen Jahren nach Brüssel geschickt wurde, um die Bürokratie abzubauen. Das sorgte schon in der Ankündigung für Gelächter. Der Erfolg liegt klar auf der Hand (unbedingt ansehen, das ist witzig aber sehr erhellend).
Man hat seitdem mindestens 1.000 weitere Vorschriften und Verordnungen erlassen, die alle Euren Alltag bestimmen. Und Herr Oettinger hatte nichts Besseres zu tun, als die Kommission zu einem Selbstbedienungsladen der großen Parteienbündnisse zu gestalten (das ist mit Kontrollabbau verbunden, den man als Bürokratieabbau missinterpretieren könnte), während er das Parlament und den Rat für die Ausuferung der Bürokratie verantwortlich machte. Er hatte einen Job...
Die Union fällt damit auf, dass ihre Mitglieder permanent über bürokratische Hürden der von ihnen protegierten Großunternehmen schimpfen3, während sie selbst den Dschungel der Vorschriften für kleine Selbständige verdichten. Um auf die Youtube-Kommentare zurückzukommen: Nein, das ist kein Kommunismus. Das ist Kapitalismus.
Große Unternehmen können mit der Rechtsunsicherheit umgehen, weil sie Rechts- und sonstige Fachabteilungen für diese Themen haben. Je kleiner die Unternehmen, umso größer ist der Ressourcen-Anteil, der für den Verwaltungsaufwand verschwendet wird. Und ganz am unteren Ende sitzen dann solche Leute, wie die Youtuberin, die die sprichwörtliche Arschkarte gezogen hat.
Und so bleibt die Frage: Wem dient eine solche Politik?
_________
1 Möglicherweise gibt es einen Weg, die Auszahlung der Versicherung rückgängig zu machen, aber das möchte ich hier nicht vertiefen, das ist zu spekulativ. Im Übrigen gehören die Tränen zu ihrem Geschäftsmodell, aber das schmälert nicht die Schweinerei, die hier passiert ist.
2 Ich erinnere mich an den Fall eines freischaffenden Künstlers, der in der Corona-Zeit staatliche Hilfen in Anspruch nehmen musste. Danach unterstellte man ihm Betrugsabsicht und er musste in einem Prozess nachweisen, dass er keine betrügerische Absicht hatte. In einer Situation, in der er ohnehin klamm war, musste er auch noch die Kosten für einen Prozess mit Rechtsanwalt und allem Pipapo vorschießen. Er bekam am Ende Recht.
3 Hier wird meist über Vorschriften geschimpft, die den Bürgern tatsächlich etwas bringen: Weniger Gift auf den Feldern, weniger Tracking durch Datenkraken, weniger Betrug durch Banken und Versicherungen. Im Übrigen bekleckern sich andere Parteien in Hinsicht auf Bürokratiefilz auch nicht unbedingt mit Ruhm. Aber man gewinnt schon den Eindruck, dass die Union das Thema Bürokratieabbau ganz besonders für sich gepachtet hat, während sie in Regierungsverantwortung genau das Gegenteil tut.
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