Israels „Projekt Parkplatz“

Samstag, 09.12.2023

Mirko Matytschak

Nach der ebenso brutalen wie dummen Attacke der Hamas auf israelische Siedlungen war zu erwarten, dass Israels Militär zurückschlagen wird. Seit ein paar Wochen läuft nun dieser ziemlich einseitige Krieg. Aber wie weit soll das gehen? Wie viele Palästinenser werden übrig bleiben und wo werden sie leben?

Israels Regierung und die Militärs sagen, ihr Ziel sei die vollständige Vernichtung der Hamas. Betrachten wir die Opferzahlen, ergibt sich ein anderes Bild: Es wird geschätzt, dass es bislang 15.000 Tote durch die israelischen Angriffe auf den Gazastreifen gegeben hat. Das klingt nicht danach, eine Organisation, deren Führung aus ca. 100 Personen (laut Konrad-Adenauer-Stiftung) besteht, zu eliminieren. Die Mitgliederanzahl der Hamas beträgt laut Wikipedia etwa 80.000. Die Hamas hat einen politischen und einen militärischen Flügel und letzterer befehligt so ca. 20.000 – 30.000 Personen. Wir brauchen diese Zahlen nicht auf die Goldwaage legen, es reicht, wenn wir uns einen Eindruck von der Größenordnung verschaffen.

Damit ergibt sich in einem Satz gesagt: Israel bombardiert ein extrem dicht besiedeltes Gebiet mit ca. 2 Millionen Einwohnern und rückt mit Panzern und Truppen ein, weil sie einen Gegner eliminieren wollen, der aus maximal 80.000 Menschen besteht.

Wenn Ihr in den letzten Wochen ein wenig die großen Medien verfolgt habt, seht Ihr immer wieder Bilder von israelischen Panzern, die auf großen, plattgewalzten Flächen stehen.

Es macht auch niemand ein Geheimnis daraus, was da genau passiert:

  • Zunächst werden ganze Straßenzüge zu Schutt bombardiert
  • Mit den Panzern oder anderen Mitteln wird dann der Schutt zu einer ebenen Fläche planiert
  • Auf diesen ebenen Flächen entstehen die Fotos, die tagtäglich in unsere Medien gelangen

Diese Flächen sind frühere Häuser und Infrastruktur der Menschen, die sich jetzt in Notunterkünften im Süden des Gazastreifens zusammenpferchen, derselbe Süden, der gerade verstärkt das Ziel israelischer Bomben ist.

Was ist Israels tatsächliches Ziel?

Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber für mich klingt das nicht danach, also ob das Ziel Israels nur die Eliminierung von 80.000 Hamas-Mitgliedern wäre, um den Terror zu stoppen1. Für mich sieht es eher so aus, als nähme Israel den Hamas-Angriff zum Anlass, aus Gaza einen Parkplatz zu machen.

Um zu verstehen, was das genau bedeutet, lege ich Euch hier eine Serie an Bildern ans Herz, in der mich vor allem das erste Bild beeindruckt. Es ist eine Satellitenaufnahme des Gazastreifens (zu Beginn der Angriffe) und zeigt sehr deutlich, wie dicht besiedelt dieses Gebiet ist. Wenn da eine Bombe auf ein angebliches Hamas-Quartier fällt, sind gleich einmal 100-200 Zivilisten mit dabei. Soviel übrigens zu dem Vorwurf, die Hamas benutze Zivilisten als Schutzschild.

Gaza ist im Wesentlichen ein Flüchtlingslager, das durch die gewaltsame Vertreibung von Palästinensern aus ihren Heimatorten durch zionistische Milizen entstanden ist, und zwar kurz vor der Staatsgründung Israels. Israel hat seit der Staatsgründung dafür gesorgt, dass diese Region, ebenso wie das Westjordanland, nicht den Hauch einer Chance hat, sich wirtschaftlich und sozial zu entwickeln.

Es deutet alles darauf hin, dass das eigentliche Ziel, das Israel verfolgt, die vollständige Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus Palästina ist.

Ich weiß: das ist eine schwere Anschuldigung, aber wer glaubt, dass die Anschuldigung aus der Luft gegriffen sei, dem empfehle ich die Lektüre dieses Artikels und vieler anderer Quellen, in denen die Hardliner offen sagen, was sie mit Palästina vorhaben4. Zitat:

Nach dem Krieg sei es eine "Option", "die freiwillige Umsiedlung von Palästinensern in Gaza außerhalb des Streifens zu fördern, aus humanitären Gründen"

Man kann den Angriff der Hamas noch so brutal und barbarisch finden – und nach allem, was wir darüber wissen, war er es – aber das darf uns nicht dazu verleiten, solchen Leuten aus der Likud-Partei (und den anderen rechtsnationalen und offen faschistischen Koalitionsparteien der gegenwärtigen Regierung in Israel2) zur Seite zu stehen, die eine Fluchtbewegung als freiwillig bezeichnen, deren Ursache in Wirklichkeit die Zerstörung der Lebensgrundlage der Menschen ist, und die das auch noch humanitär nennen. Wie verblendet und seelisch stumpf muss man sein, um sich mit der Politik solcher Unmenschen solidarisch zu zeigen?

Das gilt im Übrigen auch für diejenigen, die Solidarität mit der Hamas fordern. Denn die Hamas und die israelischen Hardliner sind Brüder im Geiste.

Ob die Menschen in die Nachbarländer fliehen oder beim Projekt „Parkplatz Gaza“ sterben, ist für diese Hardliner um Netanjahu, die seit Jahren Israel regieren, einerlei. Aber für die Bevölkerung, die seit Jahrzehnten die Willkür, die Gängelung und Beschränkung durch die Okkupanten sowie den Landraub durch die Siedlungen auf Palästinensergebiet hinnehmen muss, ist es eben nicht einerlei.

Es wundert mich ehrlich gesagt, dass von den 2 Millionen Menschen in Gaza nur 80.000 Mitglieder der Hamas sind. Das müsste eigentlich Hoffnung auf einen immensen Friedenswillen in der palästinensischen Gesellschaft spenden. Mich hätte es nicht gewundert, wenn ein Großteil der Bevölkerung dort den Okkupanten den Tod an den Hals wünschte (dass es so sei, wird den Menschen in unserem Land gerne erzählt).

Und was ich nicht verstehe, ist, dass in Israel so wenige Menschen begreifen, dass die Radikalisierung der Palästinenser mit der eigenen Politik zu tun hat.

Das „Projekt Parkplatz“ wird die Anzahl der Hamas-Mitglieder nicht reduzieren, sondern vervielfachen.

Dadurch geht die Gewaltspirale in eine neue Runde. Und ob uns der Gedanke gefällt, oder nicht: Genau das scheint der Plan Israels zu sein.

Denn es gilt für Israels Regierung und ihre Truppen dasselbe wie für die Hamas: Die Unmenschen fürchten das Unmenschliche nicht3.

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Die Zitate aus den Medien sind mit Links hinterlegt, die als Quellenangabe dienen.

1 Der Begriff Terrorismus wird ja meist so eingesetzt, dass die Anderen Terroristen sind, während die eigenen Leute brave Truppen oder Freiheitskämpfer oder gar Helden sind. Im Prinzip tun alle das gleiche. Wenn die Hamas einen solchen Krater in Israel verursacht hätte:

dann würde die ganze Welt von einem weiteren barbarischen Terrorakt sprechen. So aber ist es das Ergebnis einer Militäroperation, deren Ziel „das Quartier einer Terrorgruppe“ war. Ihr müsst verstehen, dass die jahrelang ausgeübte Wortwahl (Framing) in reichweitenstarken Medien eine massive Beeinflussung der öffentlichen Meinung erzeugt. Wenn Ihr im Begriff seid, mich wegen dieses Blogbeitrags als Freund der Terroristen zu verurteilen, solltet ihr Eueren Bias überprüfen, der eben durch solche Framing-Effekte eintreten kann. Dann werdet Ihr feststellen, dass ich mich mit diesem Beitrag sehr bewusst von den Akteuren beider Seiten distanziere.

2 Wer das übertrieben findet, sollte sich einmal mit dem Ende der Demokratie in Israel durch Entmachtung der Judikative beschäftigen. Einen sehr guten Einblick in das Thema verschafft uns Moshe Zuckermann, ein bekannter Soziologe aus Tel Aviv. Sein sehr kurzweiliger und informativer Vortrag ist in deutscher Sprache gehalten. Der Link geht beim Thema der Koalitionspartner Netanjahus los, aber der Vortrag ist in der gesamten Länge sehr empfehlenswert.

3 Das ist übrigens die Haltung der Kriegstüchtigkeit, die der Herr Pistorius in unserem Land beschwört. Es geht um die Gewöhnung der Bevölkerung an unmenschliche Gewalt aus angeblich lauteren Motiven. Die Propaganda trägt Früchte: Eine Umfrage ergibt wohl, dass die Mehrheit der Deutschen Israels Vorgehen in Gaza „versteht“.

Die Zeit ist bald reif für den ersten richtigen deutschen Krieg seit Jahrzehnten und ich fürchte, eine Menge junger Leute werden mit einem lauten Hurra in diesen Krieg ziehen. Aber denkt daran: Eurer Heimatstadt könnte ein Schicksal drohen, gegen das die Gaza-Katastrophe ein Kinderspiel ist. Lasst es lieber bleiben.

Diejenigen, die Euch in dieses Fiasko schicken werden, haben Euren Tod bereits heute auf dem Zettel. Sie fürchten Euren Tod durch des Gegners Hand nicht.

4 Das ist natürlich keine offizielles, sondern ein heimlich verfolgtes Ziel. Herr Netanjahu ist wie die meisten seiner Vorgänger klug genug, dieses Ziel hinter verschlossenen Türen zu halten, um die Weltgemeinschaft nicht gegen sich bzw. gegen Israel aufzubringen. Wie sich zeigt, sind nun Leute in seiner Regierung, die mit diesem Ziel nicht mehr hinter dem Berg halten wollen. Das erinnert ein wenig an die Rechtspopulisten bei uns, die die Freiheit beanspruchen, das Unaussprechliche aussprechen zu dürfen.

 

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