Filmtipp „Alles ist eins“

Sonntag, 24.12.2023

Mirko Matytschak

In der ARD-Mediathek findet sich gerade eine sehr sehenswerte Doku über Wau Holland, einem der Gründer des Chaos Computer Clubs. Der Film ist eine klare Empfehlung, weil er eben nicht die ganzen Klischees über Hacker wiederholt, sondern im Gegenteil den Wert der direkten Begegnung von Mensch zu Mensch in den Mittelpunkt rückt.

Zunächst einmal der Link zu dem Film.

Bemerkenswert finde ich an dem Film gleich mehrere Aspekte. Zunächst einmal, dass man sieht, dass der CCC in seinen Wurzeln aus der politischen Spontibewegung hervorging und ihre Werte teilte.

Anfang der 80er teilte sich die deutsche Linke in zwei Hauptströmungen auf. Die eine Strömung, die Kommunisten (KPD-ML etc.), war die Strömung derer, die einen Stock im Arsch hatten und mit streng hierarchischer Ordnung und ausgefeilter Rhetorik in der Öffentlichkeit auffielen.

Eine Sonderrolle spielte die von der DDR unterstützte DKP, die eine Art sozialdemokratischen Ansatz verfolgte, wobei der „real existierende Sozialismus“ der DDR als Vorbild diente. Die Anhänger der DKP wurden innerhalb der Linken nicht wirklich ernst genommen.

Bleibt die zweite Hauptströmung, das waren die anarchistisch ausgerichteten Gruppen, die auch „Sponties“ genannt wurden. Bestanden die Kommunisten auf einer „Diktatur des Proletariats“ als Übergang zum Kommunismus1, folgten die anarchistischen Gruppen einem sehr einleuchtenden Grundtenor:

Der Sozialismus als Übergang zum Kommunismus sollte sich durch die wesentlichen Merkmale auszeichnen, die in der künftigen Gesellschaft angestrebt werden.

Von welchen Merkmalen sprechen wir hier? Das ist zunächst einmal die weitgehende Selbstorganisation der Menschen in der Gesellschaft sowie basisdemokratische Strukturen, die von unten nach oben organisiert sind. Hier ist das wesentliche Merkmal die Entsendung von Räten in Gremien, die jeweils für bestimmte Sachthemen zusammengestellt werden.2

In der Sponti-Bewegung wurden implizit zusätzliche Werte gelebt, die meiner Ansicht nach die große Attraktivität dieser Bewegung ausmachten:

  • Spontane kreative politische Aktion
  • Kein Zwang, welcher Art auch immer
  • Lust und Spaß

Um das richtig zu einzuordnen: Das waren die wesentlichen Merkmale der ansonsten unorganisierten Bewegung.

Aus dem großen Pool von Sympathisanten für diese Art politischen Ausdrucks sind alle Bewegungen hervorgegangen, die im Nachkriegsdeutschland eine nennenswerte Rolle spielten:

  • Die Friedensbewegung
  • Die Anti-AKW-Bewegung
  • Die Naturschutzbewegung

Die Spontis brachten die Tageszeitung (TAZ) hervor3, sie brachten diverse spirituelle Schulen hervor und nicht zuletzt den CCC. Und damit kommen wir zu einem der Kernpunkte des Films zurück:

Die Gründer des CCC, mit Wau Holland als „Seele“, organisierten sich, weil es Ihnen nicht um die Maschinen ging, sondern um die Gesellschaft und die Menschen, die in ihr leben.

Und das bringt uns zu dem zweiten Punkt, über den die Doku keinen Zweifel lässt: Bei aller Faszination, die die Auseinandersetzung mit den Computer- und Telefonnetzwerken mit sich brachte, betonte Wau Holland immer wieder die Bedeutung der direkten menschlichen Begegnung. Seht Euch den Film an, um einen Eindruck davon zu erhalten wie hoch dieses Thema im ursprünglichen CCC aufgehängt war. Es ist eines der großen Verdienste der Doku, diesem Aspekt das richtige Gewicht zu verleihen.

Der Film zeigt auch ein paar Fehlentwicklungen innerhalb der Hackerszene auf und wie der CCC damit umging. Nicht zuletzt wird gezeigt, wie Wau Holland, der Mensch, der wie kein anderer das Menschliche in dieser Szene repräsentierte, durch rigorose Selbstausbeutung letztendlich einen verfrühten Tod fand.

Aber wie heißt es so schön: Alles hat seinen Preis. Wau Holland wirkt durch sein Tun über seinen Tod hinaus.

 

Update 25.12.2023: Ich wurde zurecht darauf hingewiesen, dass die Hacker-Szene ihre eigenen ethischen Grundsätze formuliert hat, wie folgt:

  • Der Zugang zu Computern und allem, was einem zeigen kann, wie diese Welt funktioniert, sollte unbegrenzt und vollständig sein.
  • Alle Informationen müssen frei sein.
  • Mißtraue Autoritäten – fördere Dezentralisierung.
  • Beurteile einen Hacker nach dem, was er tut, und nicht nach üblichen Kriterien wie Aussehen, Alter, Herkunft, Spezies, Geschlecht oder gesellschaftliche Stellung.
  • Man kann mit einem Computer Kunst und Schönheit schaffen.
  • Computer können dein Leben zum Besseren verändern.
  • Mülle nicht in den Daten anderer Leute.
  • Öffentliche Daten nützen, private Daten schützen.

Mir ging es darum, darauf aufmerksam zu machen, dass es eine Kontinuität in der Entwicklung der Hackerszene aus der anarchistischen Sponti-Szene heraus gab. Der Film vermittelt einen Eindruck dieser Kontinuität.

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1 Das ist eigentlich ein Missverständnis. Die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs stellte eine emanzipierte Arbeiterschaft in den Mittelpunkt und nicht eine politische Elite, die die Gesellschaft in den Kommunismus führen sollte. Dass solche Ansätze in die Hosen gehen, wusste bereits Karl Marx höchstpersönlich.

2 Ich weiß: Das ist eine grobe Vereinfachung. Lassen wir das aber mal so stehen, weil es nicht das Kernthema dieses Beitrags ist.

3 Von dem ursprünglichen Sponti-Ansatz ist bei der TAZ heute nichts mehr übrig. Leider sind die Bewegungen, die aus der Spontibewegung hervorgegangen sind, und die allesamt außerparlamentarische Bewegungen waren, heute völlig im Wind zerstreut. Dies schreibe ich der Entwicklung der Grünen zu, die versucht haben, die Bürgerbewegungen in die Parlamente zu bringen.

Leider finden wir uns heute in einem bitteren olivgrünen Erwachen. Es ist höchste Zeit, die Bürgerrechtsbewegungen, die Umweltbewegung und die pazifistischen Strömungen außerhalb der Parlamente wieder aufzubauen. Dies geschieht zur Zeit allerorten und der größte Feind dieser neu erwachenden Bewegungen sind ausgerechnet die Grünen.

Diese fürchten, in die Bedeutungslosigkeit zu versinken, wenn „ihre“ Themen von Gruppen besetzt werden, die es tatsächlich ernst meinen. Die grünen Führungszirkel fürchten, dass sie das Vehikel verlieren, mit dem sie Wählerstimmen für ihre transatlantische Politik gesammelt haben.

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