Das personifizierte Böse

Sonntag, 22.06.2025

Mirko Matytschak

Ich möchte einmal ein paar Takte zum personifizierten „Bösen“ loswerden, wie es uns in Personen vom Schlag eines Adolf Hitler entgegentritt. Wenn man darüber nachdenkt, stellt sich an irgendeinem Punkt die Frage, ob es möglich ist, dass ähnlich „böse“ Personen erneut an die Macht kommen können. Da fürchte ich, dass ich schlechte Nachrichten habe.

Die Philosophin und Publizistin Hannah Arendt war Zeugin des Prozesses gegen Adolf Eichmann. Sie schreibt anschließend darüber:

In diesen letzten Minuten war es, als zöge Eichmann selbst das Fazit der langen Lektion in Sachen menschlicher Verruchtheit, der wir beigewohnt hatten – das Fazit von der furchtbaren „Banalität des Bösen“, vor der das Wort versagt und an der das Denken scheitert.

Dieser Begriff der „Banalität des Bösen“ löste eine heftige Kontroverse aus und wurde dann zum geflügelten Wort. Im Prozess gegen Eichmann zeigte sich, dass das System des Nationalsozialismus eine Hierarchie von Korinthenkackern und Befehlsempfängern darstellte. Die Erklärung für die furchtbarsten Taten, die sich Menschen nur vorstellen können, reduziert sich auf einen einzigen Satz:

Ich hatte Befehle und habe sie befolgt.

Ist das wirklich so einfach? Oder war da nicht mehr dahinter, eine Art teuflischer Plan, an dem viele Personen mitgearbeitet hatten, mit Hitler als oberste Quelle all dieser Teufelei? Offenkundig nicht. Um das zu verstehen, kann es hilfreich sein, die beteiligten Personen einmal aus einer eher psychologischen Sicht zu betrachten.

Eine Typenlehre des Populismus

Die Hauptperson, die als „Führer“ von so vielen Menschen verehrt und später auch gefürchtet wurde, Adolf Hitler, war eigentlich ein Wirrkopf, der sich in seinem Gehirn ein Weltbild zusammengezimmert hatte, das aus den Ressentiments und gutturalen Gefühlen der ungebildeten Bevölkerung stammte. Offensichtlich war er in der Lage, ohne besondere intellektuelle Anstrengung einen Extrakt aus all diesen wirren und unzusammenhängenden Ideen zu ziehen, der für die eigentlichen Urheber dieser Ideen – dem ungebildeten Volk – wie ein konsistentes Weltbild erschien.

Das steht ein wenig im Gegensatz zu Goebbels, der sehr wohl verstand, wie die Bevölkerung tickte und der als Zyniker dieses Wissen für gezielte Propaganda einsetzte. Aber Goebbels hätte nie solch eine Anziehungskraft für die Bevölkerung erzielen können, wie es Hitler möglich war. Das Volk hat gleich erkannt: „Das ist einer von uns“.

Er baute die fragmentierten, schwachsinnigen Ideen, die auf den Stammtischen kursierten, zu einem Gebilde zusammen, das vom Volk gleich als ihre eigenen Ideen erkannt wurde, nur mit dem Unterschied, dass alles auf einmal irgendwie zusammenpasste und scheinbar simple Erklärungen für das Elend des Daseins lieferte.

Das ist die Bedeutung des  Begriffs Populismus: Das Volk mit seinen eigenen Ideen ködern.

Aus der Bewunderung für jemanden, der scheinbar auf jede Frage eine simple Antwort hat, wird eine Hierarchie der Dummheit, der sich auch intellektuell überlegene Personen beugen müssen. Hier muss ich nochmal zu Goebbels zurückkommen: Goebbels hätte für die Einfältigkeit von Hitler eigentlich nur Verachtung übrig gehabt, wenn er nicht erkannt hätte, dass Hitler den Job als „Führer“ einfach besser drauf hatte – und dass er selbst davon profitieren könnte.

Ohne Hitler wären Zyniker wie Goebbels völlig bedeutungslos geblieben, ebenso wie die „intellektuellen“ Mitglieder der frühen NSDAP, die mit ihren Gedanken über die verloren gegangene germanische Kultur, ihrer Rassenideologie und ihrer Gegnerschaft zur „semitischen“ christlichen Religion, die für sie eine Art Fremdbestimmung der deutschen Kultur darstellte, in viel zu komplizierten Gefilden unterwegs waren.

Die Beschwörung vergangener Größe

All diese Gedanken waren zu kompliziert, um bei der Bevölkerung zu ziehen. Damals wie bei den Nazis heute in- und außerhalb der AfD wurde eine Größe Deutschlands beschworen, die es zurückzugewinnen galt1, und da lag die Dolchstoßlegende näher, als Auseinandersetzungen mit der germanischen Kultur2.

Weil auch die AfD heute die angebliche Größe Deutschlands zurückgewinnen möchte, sei hier die Abschweifung eingeschoben, dass es diese nicht gegeben hat. Das Deutsche Reich war zerfallen und im Rahmen des aufkommenden Nationalismus Mitte des 19. Jahrhunderts gelang es Bismarck mit „sanfter Gewalt“, aus den Fragmenten des Reichs ein einheitliches Gebilde zusammen zu klopfen. Das erzeugte eine kurze Phase tatsächlicher geostrategischer Bedeutung, die sich vor allem an der Bündnispolitik festmachte. Ein Teil dieses Bündnisnetzes war übrigens die Achse Paris-Berlin-Moskau3, die Deutschland eine dominante Position in Mitteleuropa verschaffte.

All das wurde durch die Bummsdi-Politik von Wilhelm II pulverisiert, der Deutschland in eine Katastrophe führte, deren fatales Ende nicht etwa mit der Dummheit der teutschen Kasernenmentalität, sondern mit eben dieser Dolchstoßlegende begründet wurde, die später den Herrn Hitler an die Macht spülte.

Die Ideologie des Volkes

Kommen wir zurück zum Populismus. Der Psychoanalytiker Wilhelm Reich hat mit seinem Buch „Massenpsychologie des Faschismus“ eine weitere sehr gute Analyse des Problems des Faschismus abgeliefert und sein Ansatz ähnelt dem Ansatz von Hannah Arendt in der Weise, dass hier die besondere Bedeutung des durchschnittlichen Bürgers (bei Reich: des Kleinbürgers) in den Mittelpunkt gestellt wird. Reich hat später einen Text mit einer Rede an den kleinen Mann geschrieben, aus der folgende Passage stammt:

Ein großer, weiser Mann arbeitete sich zu Tode, um dir zu zeigen, dass du die wirtschaftliche Lage verbessern musst, wenn du dein Leben genießen willst; dass hungrige Menschen nicht in der Lage sind, die Kultur zu fördern; […] dass du dich und deine Gesellschaft von jeglicher Tyrannei befreien musst. Dieser echte große Mann machte nur einen Fehler, als er dich aufzuklären versuchte: er glaubte an deine Fähigkeit zur Emanzipation. Er glaubte, du könntest die einmal gewonnene Freiheit sichern. Und er machte noch einen Fehler: dass er dich, den „Proletarier“ einen Diktator werden ließ. Und was hast du, kleiner Mann, mit all dem Reichtum an Wissen und Ideen getan, die von diesem großen Mann kamen? Von all dem klang dir nur ein Wort im Ohr: Diktatur.

Reich beschreibt in derselben Rede eine Szene, wie ein Nachbar seinen schönen Hund bewundert, um ihm dann den Rat zu geben, den Hund „scharf“ zu machen. Es ist diese Geisteshaltung des kleinen Mannes (und der kleinen Frau), die immer wieder Elend erzeugt.

Die Idee der gemeinsamen Stärke

Ich möchte noch ein anderes Beispiel hinzufügen, aus einem Land, das gerade in aller Munde ist, wegen des Angriffs von Israel und der USA, um dort einen Regime Change herbeizuführen. Das wäre nicht das erste Mal, dass die USA an einem Regime Change dort beteiligt sind. Wer sich etwas mit Geschichte auskennt, weiß, dass es im Iran in den 50er Jahren freie Wahlen gab und es entstand eine Art Demokratie – die erste Demokratie der gesamten arabisch-persischen Region. Der gewählte Präsident Mossadegh hatte ein Problem damit, dass die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien auf den Ölfeldern des Landes saß und diese, sowie das gesamte geförderte Öl als ihr Eigentum (bzw. als das ihrer Ölfirmen) betrachtete.

Durch eine völkerrechtswidrige Intervention der Geheimdienste der USA und Großbritanniens wurde Mossadegh gewaltsam gestürzt und in der Folge erhielt der Schah im Land mehr Macht. Mossadegh wurde der Prozess gemacht und er durfte sich nicht mehr politisch betätigen.

Nach einigen Jahren kam ein hoher Geistlicher daher, der sagte der Bevölkerung: Wenn wir stark sein wollen, wenn wir unser Land aus dem Einfluss der USA zurückgewinnen wollen, dann muss ich Euch noch mehr unterdrücken, als der Schah. Das fand die Bevölkerung super und der „Retter“ Chomeini wurde unter frenetischem Jubel aus Frankreich eingeflogen4.

Das Land entzog sich dem Einfluss der USA und der Preis für Öl aus dem Iran stieg um ein Vielfaches dessen, was Mossadegh verlangt hätte5. Aber zu welchem Preis für die Bevölkerung im Iran? Ein modernes, nahezu demokratisches Land wurde eben mal ins Mittelalter befördert.

Das ist die Idee von Stärke, wenn sie von kleinen, ungebildeten Personen kommt.

Eine Demokratie auf der Basis von Populismus

Warum erzähle ich das alles? Wir hatten nach dem zweiten Weltkrieg plötzlich eine Demokratie. Vier Jahre nach dem Ende des verheerenden Krieges, der durch die Losung „Führer befiehl, wir folgen“ ausgelöst wurde, fiel bei uns die Demokratie vom Himmel. Und der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer soll angeblich in seinen gesamten Reden mit 200 Wörtern ausgekommen sein.

In Nazi-Deutschland regierten Populismus und eine Idee von Stärke, die durch Gehorsam, Disziplin und den Glauben an eine gemeinsame Sache entstehen sollte. Diese Melange führte zu der Katastrophe, der ganz Europa zum Opfer fiel.

Danach kam ein völlig neues System, auf Basis von Populismus und einer Idee von Stärke, deren Quelle Gehorsam, Fleiß und der Glaube an die gemeinsame Sache sein sollte. Die gemeinsame Sache war der Wiederaufbau der Wirtschaft zu dem Punkt, an dem Deutschland wieder in alter Stärke erstrahlt. Man brauchte auch unbedingt eine neue Armee, als deren größter Fürsprecher einer der größten Populisten der Nachkriegszeit eintrat. Ich spreche hier von Franz-Josef Strauß.

Ich kann nicht erkennen, dass der Anteil des Volkes an der Weltkriegs-Katastrophe in irgendeiner Form gewürdigt oder aufgearbeitet worden wäre – wenn man mal von Hannah Arendt, Wilhelm Reich und einer Handvoll anderer Personen absieht.

Nun steht Deutschland da und glänzt in der Konkurrenz mit anderen Nationen6, die eigentlich nicht Sache der Bevölkerung sein sollte. Die Politik hat es über Jahrzehnte in unserer tollen Demokratie vermieden, kritisches Denken in die Lehrpläne zu bringen und setzt auch heute mehr auf „Faktenchecker“, die den Menschen vorgeben, was sie denken sollen, statt dass selbständiges Denken honoriert wird. Menschen mit abweichenden Meinungen bekommen erneut die vollen Jauchekübel der Meinungsbildung in den großen Medien ab7.

Eine Wiederholung der Geschichte wird jedoch als unwahrscheinlich betrachtet. Schließlich haben wir ja Menschen, die gegen „rechts“ demonstrieren.

Nur der Mann mit dem eisernen Besen kann hier noch aufräumen!

Die Bevölkerung erfüllt weiterhin ihre Pflicht und widmet sich dem Bier, das Leute wie Herr Merz ihr zugestehen, damit die BlackRocks dieser Welt in Ruhe ihr Geld von unserer Wirtschaftsleistung abschöpfen können.

Aber die Rechnung geht nicht auf. Das Volk steht nicht auf Zyniker wie den Herrn Merz. Das Volk will Typen wie Höcke. Merz & Konsorten wollen gegensteuern, indem sie mehr und mehr von den hanebüchenen Inhalten vertreten, mit denen die AfD punktet. Aber es wird ihnen nicht gelingen. Das Volk erkennt, ob einer ihre Sprache spricht, oder nicht.

Und wenn die Regierung des Volkes, die versprechen wird, mit dem eisernen Besen die korrupte Elite aus dem Land zu fegen, erst einmal dieselben Gesetze nutzt, die in den letzten 8-10 Jahren verabschiedet worden sind, um die alten Eliten an der Macht zu halten, dann wird der intelligentere Teil der Gesellschaft erneut einen Fluchtplan benötigen.

Es gibt übrigens genau einen Weg, wie man aus Sicht der Zyniker diese Entwicklung ändern kann: Man führt das Land in einen Krieg.

__________

1 Jede Ähnlichkeit mit MAGA erscheint hier „rein zufällig“…

2 Dennoch bezogen sich die Nationalsozialisten auf diese Ideen, sodass seit dem zweiten Weltkrieg das Thema einer eigenständigen germanischen (bzw. besser: keltisch-europäischen) Kultur dauerhaft verbrannt war. Das wäre ein Thema für ein eigenes Buch.

3 An dem Bündnis nahm Paris wohl nicht ganz freiwillig teil.

4 Es gibt ein sehr gutes Buch von einer außergewöhnlichen Frau, ein Vaterkind, deren Vater sie in den USA studieren ließ. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass sie dort ausgerechnet Sozialarbeit studiert hat. Wie auch immer: Sie wurde nach ihrer Rückkehr in den Iran damit beauftragt, ein Sozialsystem aufzubauen, nachdem sie eine Schule für Sozialarbeit gegründet hatte. Das scheint ihren eigenen Aussagen nach ziemlich gut funktioniert zu haben. Während der Wirren in den ersten Tagen der Revolution wurde sie von einem der höchsten Geistlichen des Landes zu einer Unterredung zitiert. Der Mann eröffnete ihr, dass die Geistlichen keine Kontrolle mehr über den Mob auf den Straßen hätten. Er sagte ihr, dass ihr Leben in Gefahr sei. Er bot ihr seinen persönlichen Schutz an und im Schutz dieses Geistlichen konnte sie noch am selben Tag ein Flugzeug ins Exil besteigen.

(Wenn mich nicht alles täuscht, handelt es sich um das Buch „Schahsades Tochter“ von Sattareh Farman-Farmaian.)

5 Unterm Strich wären die USA und Großbritannien wesentlich besser gefahren, wenn sie dem Iran den von Mossadegh verlangten fairen Anteil an dem geförderten Öl gezahlt hätten.

6 Dass dieser Glanz gerade etwas abblättert, ist ein anderes Thema...

7 Beispiele aus jüngerer Zeit finden sich hier und hier.

 

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