Herr Höttges und die gierigen Bastarde
Freitag, 07.03.2025
Der Herr Höttges, Chef der Telekom, hat sich für ein DOGE nach US-Vorbild in Europa ausgesprochen. Bürokratieabbau, Ihr versteht. Angesichts der insgesamt 270 Regulierungsbehörden, mit denen die Telekom in den verschiedenen Ländern zu tun hat, hält Höttges radikale Schritte für angesagt.
Wer könnte da etwas gegen radikalen Bürokratieabbau haben? Unser aller Leben einfacher gestalten? Lasst uns erst mal sehen, welche Behörden der Herr Höttges als Beispiele angibt.
Ich finde es sehr interessant dass alle großen Medien seine Verlautbarungen unredigiert wiedergeben:
Er erzählt der versammelten Presse, dass seine Branche in den europäischen Ländern von 270 verschiedenen Behörden reguliert wird. Und alle veröffentlichen das und tragen damit zur Meinungsbildung in Deutschland bei.
Nun habt Ihr ja sicher schon einmal von den bösen Machenschaften gehört, mit denen die Meinung ahnungsloser Bürger durch perfide extremistische Telegram-Poster und Putinversteher manipuliert wird. Die armen Bürger werden so manipuliert, dass sie noch nicht einmal mehr wissen, wen sie wählen sollen.
Ein Mittel gegen Fake News
Überraschenderweise gibt es gegen die Manipulation durch Fake News tatsächlich ein Mittel: Journalismus. Im Fall des Herrn Höttges stelle ich mir das so vor, dass ein Journalist den Herrn Höttges anschreibt und mit ein paar Sätzen des Bedauerns, dass seine Branche dermaßen von Behörden stranguliert wird, ihn höflich fragt, ob er doch mal eine vollständige Liste dieser 270 Behörden schicken könnte.
Ich kann mir lebhaft vorstellen, was da aus dem Büro des Herrn Höttges zurückkommt: nämlich nichts. Aber keine Angst: In den großen Medien gibt es keinen einzigen Journalisten, der die Eier in der Hose hätte, ein solches Manöver zu fahren und dann etwa noch einen Artikel darüber zu schreiben, dass der Herr Höttges mit seinen 270 Behörden wohl ein wenig übertrieben hat. Ich habe vollstes Verständnis dafür, denn der Journalist, der sich das trauen würde, müsste sich vorher schon mal einen Plan zurechtlegen, wie er seine Familie sonst so durchbringen kann1.
Da niemand gefragt hat, müssen wir auf die Liste zurückgreifen, die uns Herr Höttges selbst anbietet. Die enthält ganze vier Einträge, das sind immerhin schon mal 1,5% der strangulierenden Behörden:
Wir haben Medienregulierung, Cybersicherheitsregulierung, Datenschutzregulierung, Telekommunikationsregulierung auf der lokalen Ebene und international. Wir brauchen eine Initiative, die die Bürokratie beschneidet.
Ich kann jetzt nicht so viel über Medienregulierung sagen, kann mir aber vorstellen, dass ein Unternehmen wie die Telekom, die als Dienstleister für die Kommunikation der ganzen Nation antritt, schon nachweisen können sollte, dass es für ein Mindestmaß an Cybersicherheit sorgt – dass also außer den üblichen eigenen und befreundeten Geheimdiensten niemand so leicht an die Kommunikationsdaten der Bevölkerung gelangen kann. Es gibt auch ein paar sinnvolle Regulierungen bezüglich der Telekommunikation, zum Beispiel, dass Ihr beim Anbieterwechsel Eure Telefonnummer mitnehmen könnt und dergleichen Dinge mehr. Diese Regulierungen will der Herr Höttges loswerden. Ja, und dann darf in der Liste der störenden Regulierungen natürlich der Datenschutz nicht fehlen.
Die Telekom darf zum Beispiel nicht jedermann die Informationen darüber verkaufen, wen Ihr anruft, welche Services Ihr nutzt und so weiter. Möglicherweise geschieht das dennoch, aber es ist nicht erlaubt, und – ich weiß nicht wie es Euch so geht – ich finde das gut so. Daher verstehe ich jetzt nicht so ganz, warum der Datenschutz regelmäßig in der Liste der Regulierungen auftaucht, die unsere Wirtschaft so unglaublich ausbremsen und aufgrund dessen als überflüssig betrachtet werden.
Es fehlt mir ein wenig an Phantasie, wie man angesichts der Fülle an gierigen Bastarden in unserer Gesellschaft, deren einziger Maßstab die Profitmaximierung ist, mit weniger Regulierung auskommen könnte.
Möglicherweise versteht der eine oder andere Leser nicht, wen ich mit der Bezeichnung „gierige Bastarde“2 meinen könnte. Daher nehme ich mal ein Beispiel aus dem Vortrag von Cory Doctorow, den ich in diesem Beitrag empfohlen habe.
Datenschutz und die Ausbeutung von Pflegekräften
Er beschreibt in dem Vortrag, dass die Pflegekräfte in Kanada eine Art Tagelöhner sind. Wenn Du in der Pflege arbeiten willst, meldest Du Dich bei einer von drei Internetplattformen an, die den Vermittlungsmarkt für Pflegekräfte dominieren. Diese Plattformen vermitteln Dich dann an eine Klinik, in der Du Deine Arbeit antreten kannst. Im Rahmen der Vermittlung wird Dir ein Lohn angeboten. Interessanterweise ist der angebotene Lohn aber starken Streuungen ausgesetzt.
Es stellte sich heraus, dass die Plattformen im großen Stil Finanzdaten einkaufen. Diese Daten werden mit den Daten der Pflegekräfte abgeglichen. Stellt der Algorithmus nun fest, dass eine Pflegekraft Finanzprobleme hat, bietet er einen geringeren Lohn an. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass Personen mit finanziellen Schwierigkeiten den Job dringender brauchen und daher auch schlechtere Angebote annehmen.
Ihr findet diese Vorgehensweise eine Sauerei? Man sollte dafür sorgen, dass das nicht passieren kann? Dann bleibt nur die Frage, wer man in diesem Fall ist. Da wären wir dann bei den bis zu 270 Behörden, die der Herr Höttges zum Großteil abschaffen will.
Kreative Nutzung der elektronischen Patientenakten
Aber es geht noch weiter. Warum sollte man nur Finanzdaten für einen solchen Algorithmus heranziehen? Wie wäre es mit den gesammelten Patientenakten der Nation? Wer krank ist oder einen Pflegefall in der Familie hat, braucht bestimmt dringender einen Job, dem könnte man doch gleich einmal weniger Lohn anbieten.
In Deutschland wird ja gerade im großen Stil die ePA eingerichtet. Das ist eine super Idee, die Behandlungsunterlagen aller Patienten in Deutschland an zentraler Stelle zu speichern. Ihr müsst proaktiv widersprechen, sonst sind Eure Daten dabei. Da können sie leichter im gesamten Umfang gestohlen werden. Obwohl: Das lohnt sich gar nicht. Wer die Daten braucht, kommt auch auf ganz legalem Weg an sie heran. Das Thema habe ich ausführlich in diesem Beitrag beschrieben.
Wer immer Interesse an diesen Daten hat, gibt ein wissenschaftliches Interesse vor und kann dann Zugang erhalten. Das ist so einfach? Gegenwärtig noch nicht ganz, aber das ist der Plan. Der Stand heute ist: Die Daten, die bei den Krankenkassen über Behandlungen gespeichert werden, können ausgewertet werden. Aber vorher müssen die Interessenten einen Prozess durchlaufen, bei dem sichergestellt wird, dass damit kein Unfug getrieben wird. Das Verfahren nennt sich Joint Controller Agreement und wird im Kern folgendermaßen beschrieben:
Das Joint Controller Agreement ist für verantwortliche Unternehmen nicht nur eine zusätzliche datenschutzrechtliche Verpflichtung, sondern kann ein gutes Instrument für eine klar geregelte und koordinierte Zusammenarbeit mehrerer verantwortlicher Stellen sein. Die vielen datenschutzrechtlichen Vorgaben können schneller und einfacher umgesetzt werden...
Wer jetzt findet, dass solche Joint Controller Agreements eine sinnvolle Angelegenheit sind, hat die Rechnung ohne den Ethikrat gemacht. Deren Mitglied Frau Klingmüller gibt folgendes zum Besten:
Derzeit gibt es in Deutschland umfangreiche Regelungen, die Forschungsprojekte „oft sehr stark verzögern“, da über viele Jahre hinweg komplizierte Verträge abgeschlossen werden müssen, wie beispielsweise Joint Controller Agreements, die die gemeinsame Verantwortung für die Daten regeln.
Das Zitat zeigt sehr deutlich, zu welchem Zweck der Ethikrat eingerichtet wurde. Spoiler: Es geht nicht um die Belange der Bevölkerung.
Es fehlt der Frau Klingmüller jegliche Phantasie, dass sie sich vorstellen könnte, dass unter dem Deckmantel eines Interesses an Forschung solche Firmen wie Cambridge Analytica an die Daten der Patientenakten kommen, diese Daten mit anderen Datenbeständen abgleichen, damit eine Verbindung zu konkreten Profilen möglich ist, und die Ergebnisse dieser „Forschung“ den Leuten zum Kauf anbieten, die Uber-Fahrer, Pflegekräfte und andere unterprivilegierte Kreise der Bevölkerung zum Zweck der Profitmaximierung über den Tisch ziehen.
Dazu passend das Zitat einer Frau Thun aus dem Ethikrat:
Professorin Sylvia Thun, Medizininformatikerin an der Charité, monierte, dass wir uns in Deutschland dafür schämen sollten, dass wir nicht mit den Gesundheitsdaten forschen können.
Sie sagt uns nicht, wer dieses wir ist, das da „forschen“ können soll.
Heute ist der Tag der gierigen Bastarde, und der Herr Höttges steht dafür, dass auch die letzten Hürden, die deren Handeln einschränken könnten, abgebaut werden. Er weiß den Ethikrat auf seiner Seite. Und Medien wie die Tagesschau, das Handelsblatt, n-tv und wer-nicht-alles-sonst, die seine Verlautbarungen unredigiert als Meinungsbildung in unserer freien, nicht manipulierten Gesellschaft verbreiten.
_____________
1 Das gilt selbstverständlich auch für Journalistinnen, falls das generische Maskulinum auf Unverständnis stoßen sollte.
2 Die Bezeichnung entnehme ich aus dem Film „Ein gutes Jahr“, in dem die Hauptfigur, ein Broker in leitender Position, seine Untergebenen mit dem Satz motiviert: „Heute ist der Tag der gierigen Bastarde!“. Der Begriff Untergebene ist bewusst gewählt. Im Film nennt er sie „Laborratten“.
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