Was die Konservativen bewahren wollen

Dienstag, 11.05.2021

Mirko Matytschak

Wenn wir das Wort Konservative in den Mund nehmen, dann geht das so leicht über die Lippen, als ob wir wüssten, was die Konservativen denn so konservieren wollen. Dabei lohnt es sich durchaus, den Gegenstand der Bewahrung näher zu betrachten.

Eigentlich hatte ich schon länger einen Artikel über die „Neuen Konservativen“ in der Pipeline. Aber die Realität hat mich überholt, und so muss ich mit dem Fazit des Artikels herausrücken, bevor ich den Artikel selbst überhaupt schreiben konnte.

Die Geschichte

Als das mit den Konservativen begann, saßen sie im Parlament rechts und glaubten noch an Reich und Kaiser.

Nach dem zweiten Weltkrieg formierte sich dann eine „Partei der Mitte“, aus konservativen Politikern, die sich deshalb als „Mitte“ bezeichneten, weil sie symbolisieren wollten, dass sie für die Mehrheit der Bürger stehen. Dabei ist die „Mitte“ eigentlich nur die historische Sitzordnung im Parlament zwischen den „Linken“ der SPD und den rechtsnationalen oder kaisertreuen Spinnern. Diese Rechnung ging, wie wir wissen, vollständig auf.

Denn die Konservativen stellen ihren Konservativismus so dar, als ob es irgendwelche Werte gäbe, die es zu erhalten gilt. Worum es historisch eigentlich geht, möchte ich in ein paar Sätzen umreißen, bevor ich dazu komme, was denn heute so bewahrt wird.

Karl Marx hat dargestellt, dass die Entwicklung der Produktivkräfte zu Änderungen der Organisation der Gesellschaft (sprich: der Produktion und Verteilung) und damit zu einer Veränderung dessen führt, was Menschen denken, woran sie glauben und was sie durchschnittlich so tun. Das macht dann die konkrete Gestalt der Gesellschaft aus. Da sich die Produktivkräfte ständig entwickeln, können wir sagen: Die Gesellschaft verändert sich permanent. Ist das heute immer noch so? Aber natürlich. Denkt nur an die Stichworte Digitalisierung und Disruption.

Marx sagte voraus, dass sich die Gesellschaft so entwickeln wird, dass die Arbeiterschaft mehr Rechte gewinnen und politisch mehr Bedeutung erlangen wird. Also war für die Linken der Fortschritt etwas Gutes und daher nannten sie sich selbst progressiv, vom lateinischen Wort Progress, das Fortschritt bedeutet.

Die Konservativen sahen sich nun als Gegengewicht dazu. Sie wollten diesen Fortschritt nicht, zumindest nicht zu diesem Preis. Sie wollten nicht, dass die Entwicklung in die Richtung geht, dass die unteren Schichten der Gesellschaft aufbegehren, Rechte für sich einfordern, ein Leben in Würde führen wollen und das Minimum an Einkommen, das für ein Leben in Würde nötig ist, einfordern.

Die Konservativen folgten und folgen heute immer noch dem Reflex, der ständigen Veränderung der Gesellschaft etwas entgegenzuhalten.*

Der Kern des Konservativismus

Was immer sie aufhalten wollen, kumuliert ihre Ideologie in einem Satz: „Die Menschen sind ungleich und das wird man nicht verhindern können.“

Natürlich ist das so gemeint, dass die Gesellschaft, die auf diesem Satz gründet, die Trennlinie zwischen Arm und Reich so zieht, dass die „Bewahrer der alten Werte“ auf der guten Seite landen. Und das, liebe Freunde, ist der eigentliche Kern des Konservativismus in zwei Sätzen formuliert.

Alles andere, wie „Leistung muss sich lohnen“ oder ähnliche Weisheiten, sind nur Makulatur über diesem Kern. Der Vollständigkeit halber sei noch angeführt, mit welchen Kernaussagen sie die „Mitte der Bevölkerung“ immer wieder für sich gewinnen:

  1. Sicherheit: Die Welt ist unsicher, also brauchen wir mehr Polizei, Militär, Geheimdienste mit möglichst uneingeschränkten Rechten. Wenn man das richtig verpackt, fühlen sich die Leute sicher, während die Politik alle Mittel in der Hand hat, um die Bevölkerung zu kontrollieren.
  2. Wirtschaftskompetenz: Wenn es den Unternehmen gut geht, fällt auch etwas Wohlstand für die Bevölkerung ab. Eine Variation dieses Themas ist die Erpressung der Bevölkerung mit der Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes. Geht es dem Unternehmen gut, sind die Arbeitsplätze sicher.

Konservative Politik heute

Die Art und Weise, wie die Politik auf die Corona-Pandemie reagierte, zeigt sehr schön, wie konservative Politik funktioniert. Zunächst einmal waren alle Politiker der Regierungsparteien hilflos. Vor allem Herr Spahn war genervt: Pandemie bedeutete Arbeit und so hat er sich das mit dem Gesundheitsministerium nicht vorgestellt. Nach einer Weile des Herumdilettierens ergaben sich erste Möglichkeiten echter konservativer Politik durch die Maskendeals. Das Thema geht mittlerweile in ein zweites Kapitel.

Bevor mir jetzt jemand sagt, meine Aussagen seien einseitig und ungerecht, möchte ich darauf hinweisen, dass diese Art an Politik in der Union Tradition hat. In der Folge der „Anstalt“ vom 04.05.2021 ist es den beiden Kabarettisten Uthoff und von Wagner nicht gelungen, innerhalb von 45 Minuten alle Korruptionsskandale der Union darzustellen.

Jetzt könnte immer noch jemand sagen, dass man hier Ausreißer zum Normalfall deklariert und die Anstalt das politische Geschehen auf böswillige Art und Weise interpretiert, sodass der Eindruck entsteht, die Union sei eine traditionell korrupte Partei.

Aber der entscheidende Punkt ist, dass prominente Mitglieder der Union eine offensichtlich korrupte Politik zu ihrem guten Recht erklären, wie uns Claus von Wagner in einem Tweet anschaulich aufzeigt. Darauf möchte ich kurz näher eingehen.

Die Aufgabe eines Abgeordneten

Der CDU-Abgeordnete Friedrich Merz hat nämlich zusammen mit anderen Abgeordneten der Union gegen eine Regelung geklagt, die die Vorteilsannahme im Politikbetrieb stark einschränkt. Er gab vor Gericht folgendes zu Protokoll:

Ich gehöre heute einer großen internationalen Anwaltssozietät an. Ich bin in dieser Sozietät auf, wie wir es etwas salopp sagen, ein halbes Dezernat gesetzt, das heißt, von mir wird nur die Hälfte der Arbeitszeit erwartet, die auch von den übrigen Partnern gleichen Status´ erwartet wird. [...] Wir haben das Mandat für den Börsengang der RAG. Dieses Mandat haben wir bekommen, erstens weil wir es können, zweitens weil fast alle anderen großen Kanzleien conflicted waren, und drittens, weil ich in der Kanzlei bin. Aber in der Reihenfolge.

Ich muss hier einen Kommentar einschieben. „Weil ich in der Kanzlei bin“, bedeutet: Die Mandanten der Kanzlei profitieren davon, dass Herr Merz ein Politiker mit entsprechenden Einfluss auf die Gesetzgebung ist. Dafür bezahlt ihn die Kanzlei. Nun weiter im Zitat:

Dieses Mandat haben wir bekommen im Frühjahr 2004, zu einem Zeitpunkt, wo über die Frage, ob dieses Unternehmen jemals an die Börse geht, überhaupt noch nirgendwo nachgedacht worden ist, außer in einem ganz kleinen Kreis in dem Unternehmen unter unserer Beteiligung. Wenn ich zu dem damaligen Zeitpunkt den Verhaltensregeln von heute unterlegen hätte, hätte ich […] angeben müssen, zunächst dem Bundestagspräsidenten, und der hätte veröffentlichen müssen – die Tatsache, dass ich einen Börsengang begleite, mit einer Branchenbezeichnung eines Unternehmens, das im Bereich der Chemieindustrie, der Kraftwerksindustrie und der Kohleförderung tätig ist. Da hätte niemand in Deutschland irgendwo googlen müssen, um festzustellen, um welches Unternehmen es sich handelt. Das Thema wäre sofort erledigt gewesen; ich hätte dieses Mandat entweder gar nicht annehmen dürfen, und wenn ich es angenommen hätte und den heute geltenden Regeln hätte nachkommen wollen und müssen, hätte ich unmittelbar danach das Mandat entzogen bekommen. ... Was habe ich daraus für Konsequenzen gezogen? Ich habe sehr frühzeitig wenigen Kollegen, aber Kollegen, die es wissen mussten, gesagt, dass ich mich an einer möglicherweise stattfindenden Gesetzgebung zum Thema Steinkohleausstieg nicht beteiligen werde, weil ich – ich habe meine Meinung zu dem Thema nie geändert, auch im Zuge dieses Mandats nie geändert, aber weil ich den Anschein eines Konflikts vermeiden will, von vornherein erklärt, ich werde mich an Gesetzgebung zu diesem Thema nicht beteiligen, stehe aber gerne zur Verfügung, dem einen oder anderen auch den einen oder anderen Hinweis zu geben, was wir da eigentlich vorhaben. ...
Auslassungen […] von mir. Ohne eckige Klammern ... vom Gericht.

Herr Merz stellt eine Konfliktsituation zwischen seinem Mandat als Abgeordneten und seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt dar. Und die will er so gelöst wissen, dass die Tätigkeit als Rechtsanwalt Vorrang vor seiner Aufgabe der Gesetzgebung hat. Das sah das Gericht ebenso und antwortete:

Diese Schilderung verdeutlicht den guten Sinn einer gesetzlichen Regelung, die klarstellt, dass im Mittelpunkt der Tätigkeit des Abgeordneten das Abgeordnetenmandat zu stehen hat und der Abgeordnete daher verpflichtet ist, konkrete Interessenkonflikte, die sich für ihn aus entgeltlichen Tätigkeiten außerhalb des Mandats ergeben, durch Nichtübernahme der konfliktbegründenden Tätigkeit statt durch Nichtausübung des Mandats zu vermeiden.

Der Herr Merz, der Freund von Herrn Laschet, der gerade sein Comeback in der Politik inszeniert und als Superminister der Union gehandelt wird, wenn sie denn eine Mehrheit zustande bekommen sollte, dieser Herr Merz stellt besser dar, als alle Kritiker, für wen die Konservativen Politik machen und auf welcher Seite des Risses, der wegen dieser Politik durch die Gesellschaft geht, er zu stehen gedenkt.

Darüber hinaus bekennt er sich offen zu seiner Meinung, dass sein gutes Recht als Politiker die Vorteilsannahme ist, oder, um es mit einem anderen Begriff zu bezeichnen: Die Korruption.

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* Diese Art Fortschrittsverweigerung harmoniert sehr gut mit den Ängsten der Bevölkerung, die man als Politiker auch noch geschickt triggern kann. Denkt nur an den Wahlspruch „Take back control“, mit dem der Brexit erreicht wurde. Aber auch der Spruch der AfD: „Wir wollen unser Land zurück“ suggeriert, dass es irgendetwas Erstrebenswertes in der Vergangenheit gegeben haben soll, das nun zurückgeholt werden soll. Dazu passt es sehr gut, dass die konservativen Parteien überall in Europa eine schrittweise Entrechtung der Arbeitnehmer durch Ausweitung von prekären Arbeitsverhältnissen anstreben. Das ist der Fortschritt, wie ihn die Konservativen schätzen: Technologischer Fortschritt bei gleichzeitigem Rückschritt der Rechte der Arbeitnehmer.

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