Vom Risiko der Kenntnis der Zukunft

Sonntag, 14.03.2021

Mirko Matytschak

Ich habe gerade „Paycheck – die Abrechnung“ im TV gesehen. Eine düstere Geschichte mit einem Happy End, das sicherlich in der Vorlage von Philip K. Dick nicht so vorgesehen war. Dieser Film ließ mich ein wenig nachdenken über den Wunsch, zu wissen, was die Zukunft bringt.

Ein Mann arbeitet in einem streng geheimen Projekt an einer Maschine, die die Zukunft voraussehen kann. Er testet die Maschine und erkennt: wenn die Menschen diese Maschine nutzen, wird sich die Zukunft so verändern, dass sich alles zum Schlimmsten wendet und ein Krieg alles vernichtet. Also fasst er den Plan, die Maschine zu zerstören.

Er nimmt die Hilfe der Maschine in Anspruch, um seine Flucht vor seinen Auftraggebern zu organisieren. Sein Plan sieht vor, die Maschine erst einmal außer Gefecht zu setzen und später zurückzukommen, um sie zu vernichten. Dafür wird er die Maschine noch einmal kurz brauchen.

Mit Hilfe der Maschine kann er seinen Plan ausfeilen, er kann sehen, dass der Plan gelingen wird, er selbst aber durch eine Kugel sterben wird. Sein Plan sieht daher vor, am Ende, wenn die Zerstörung der Maschine sichergestellt ist, sein Vorgehen so zu ändern, dass sein Tod nicht geschehen wird. Was genau er ändert, kann natürlich nicht Bestandteil des Plans sein.

Sein Plan wird dadurch verkompliziert, dass er beim Verlassen des Labors alles vergessen wird, was er in diesem Labor in den letzten drei Jahren erlebt hat. Unter anderem auch die Liebesgeschichte zu einer Frau, die in dem Labor arbeitet. Er weiß also, dass er nach Verlassen des Labors nicht nur die Zukunft, die er gesehen hat, sondern auch seine Vergangenheit inclusive seines Plans nicht mehr kennen wird.

Er schickt sich selbst ein Rätsel aus verschiedenen Gegenständen, mit Hilfe derer er seinen Plan wiedererkennen und ausführen kann. Am Ende muss er improvisieren und entgeht dadurch der Voraussage seines Todes.

Die Abstraktion der Dystopie

Im Grunde enthält die Geschichte eine Kritik an dem Bestreben der Menschen, die Zukunft möglichst genau vorauszusagen, um die Risiken zu minimieren, oder sich sonstige Vorteile zu verschaffen. Indem sie dies tun, ändern sie den Lauf des Geschehens so, dass alles noch schlimmer kommt.

Das führt zu dystopischen Visionen. Nehmen wir als Ausgangspunkt CoVid. Wissenschaftler stellen Modellrechnungen an, wie sich die Pandemie entwickeln wird. Aufgrund der Modellrechnungen beschließt die Politik Maßnahmen zur Kontaktreduzierung, um eine Katastrophe abzuwenden. Diese Maßnahmen verändern den Lauf der Geschichte. Es folgt eine weltweite Wirtschaftskrise, die in Kriegen mündet. Indem versucht wird, das Schlimmste zu verhindern, entsteht etwas, das noch viel schlimmer ist. Der Weg zur Hölle ist gepflastert mit guten Absichten.

Nun können wir einen Schritt zurücktreten und diesen Mechanismus abstrakter betrachten: Jede Form von Erkenntnis, mit der sich die Zukunft abschätzen lässt, bringt uns ein Stück mehr aus dem Paradies.

Der Baum der Erkenntnis

Indem vor vielen Jahren die Menschen erkannten, dass zwischen Sex und Schwangerschaft ein Zusammenhang besteht, wird der Sex, bzw. seine Vermeidung, ein Mittel, die nähere Zukunft zu steuern und Risiken zu minimieren. Denn Schwangerschaft war ein Risiko, zumal im Winter.

Aber dieses Wissen unterstützt die Menschen plötzlich darin, die Nachkommenschaft zu steuern, Familienclans aufzubauen und auf diese Weise Macht oder Reichtum zu konzentrieren. Die Wahl der Sexualpartner ordnet sich diesen Zielen unter, der Sex verliert seine Unschuld. Das ist ein ungeheurer Verlust an Lebensfreude und setzt einen Lauf der Ereignisse in Gang, der zu unserer patriarchalen und letztlich kapitalistischen Gesellschaft führt.

Nun können wir natürlich nicht mehr zurück. Wir können nicht einfach auf das Wissen verzichten, das unser Leben ungefährlicher macht. Wer würde diese Verantwortung auf sich nehmen wollen? Auf der anderen Seite führt die zunehmende Vermeidung allen Risikos im besten Fall zu einem Leben in Todlangweiligkeit, im schlimmsten Fall zu unser aller Vernichtung.

Die Menschheit täte also gut daran, einen Lebensstil zu entwickeln, in dem wir alle einen nennenswerten Teil unserer Zeit in einem Modus verbringen, der planlos und riskant ist.

Das ist nicht nur der einzige Weg, einem vorgezeichneten Schicksal zu entgehen, wie es in dem Film durch die Maschine entsteht. Es schult unsere Wachheit, Intuition und die Fähigkeit, uns auf unerwartete Situationen einzustellen – sprich: unsere Lebenstüchtigkeit.

Wenn ich diese Gedankenkette in einem Satz zusammenfassen müsste, wäre es etwa dieser:

Je mehr Kontrolle über das Morgen erlangt wird, umso deutlicher laufen wir auf die Katastrophe zu.

Vielleicht sind diese Gedanken völliger Unsinn. Vielleicht aber führen sie aber zu etwas Sinnvollem, wenn sie nur ein Stück weitergedacht werden.

Update 14.03.:

Der Sprung hin zum Umgang mit der Sexualität mag ein wenig abrupt wirken. Als Bindeglied könnte die Angst vor dem Kontrollverlust dienen, ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob nicht eine etwas komplexere Struktur hinter dem Bestreben steckt, die Zukunft formen zu wollen.

Tatsache ist: Jede Sexualstörung geht mit dieser Angst vor Kontrollverlust einher. Wilhelm Reich hat sehr eingehend die Verbindung zwischen der kapitalistischen Gesellschaft und Sexualstörungen beschrieben, die ihrerseits in pandemisch verbreiteten psychischen Störungen resultieren.

Diese Verbindung ist jedoch nicht vom Himmel gefallen. Im Buch „Der Einbruch der sexuellen Zwangsmoral“ beschreibt Reich auf Basis der Arbeiten des Ethnologen Bronislaw Malinowski, wie man sich die Ursprünge dieser Entwicklung vorstellen kann. Das Zentralthema ist die Verquickung der Ehe mit ökonomischen Zielen. Daraus lässt sich eine Interpretation der Geschichte über die Vertreibung aus dem Paradies herleiten. Das gehört klar in den Bereich der Fiktion, ist aber nichtsdestotrotz Bestandteil meiner Gedankenkette.

Dass Menschen, die sich lieben, sich nicht frei paaren können, und dass die Geburt von Töchtern eine Familie ruinieren kann, ist ein Usus, der seit Jahrtausenden die patriarchalen Gesellschaften prägt, die sich in ihrer eigenen Dynamik von Sexualverdrängung und Abstumpfung zu einem Punkt entwickelt haben, an dem nach zwei verheerenden Kriegen die Aussicht auf Selbstvernichtung durch einen Atomkrieg steht. Das ist eine Sorge, die in den letzten 30 Jahren zwar erfolgreich verdrängt worden ist, die aber dennoch sehr real vor uns steht.

Update 19.03.:

Wenn ich mir das heute noch einmal durchlese, denke ich, dass das Unsinn ist, was ich hier geschrieben habe. Der Grund, warum in dem Film jeder so hinter der Maschine her ist, ist ganz klar der Machtzuwachs, den die Beteiligten sich von der Maschine erhoffen. Die Geschichte wird befeuert durch das Paradoxon, dass man auf die Erkenntnisse baut, die durch ihre Nutzung gewonnen werden, obwohl klar ersichtlich ist, dass das zur Selbstvernichtung führt, Das ist eine Analogie zur Politik der 60er Jahre, in der die Politik der atomaren Abschreckung Fahrt aufgenommen hat.

Der zentrale Punkt hier ist also der angestrebte Machtgewinn und nicht die Vorausschau. Das Streben nach Macht in diesem Umfang kommt aus neurotischen Motiven und wirkt auf die Gesellschaft in einer Weise, dass sich die neurotischen Strukturen reproduzieren. Um das festzustellen, brauche ich keine Gedankenkette über die Vorausschau.

Einen Aspekt möchte ich noch einbringen, bevor ich es gut sein lasse. Die Kräfte, die allem Geschehen zugrundeliegen, sind unscharf. Das ist ein Naturgesetz. Deshalb wird es auch nie einen Laplaceschen Dämon geben. Daraus folgt, dass der Blick durch die Krümmungen der Zeit in die Zukunft, wie es in dem Film angenommen wird, entweder unscharfe Bilder oder Schnappschüsse aus einer unendlich großen Schar von gleichermaßen wahrscheinlichen Wendungen zeigt.

Mit ersteren kann man nichts anfangen und letzteren kann man sehr leicht entkommen, indem man ein paar nicht so wahrscheinliche Handlungen in den Ablauf der Ereignisse einbringt. Diesem Gedanken scheint das Drehbuch wohl zu folgen.

 

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