Flugzeugabsturz als Folge der Firmenkultur?

Sonntag, 19.03.2017

Mirko Matytschak

Ihr kennt das ja: Man hat in der Firma alle Hände voll zu tun, dann kommen ein paar Psychoheinis und wollen Themen der Persönlichkeitsentwicklung und Softskill-Management auf die Tagesordnung bringen. Was tut man? Man drückt das Thema weg. Das kann fatale Folgen habe. Ich hatte vor kurzem eine Diskussion, in der ich zwei Beispiele nannte, die ich Euch nicht vorenthalten will.

Sicherheitsrisiko Baustellenampeln

Eine Firma hat Baustellenampeln entwickelt, die über ein GSM-Modul (=Handynetz) fernprogrammierbar sind. Prinzipiell verfügt das System über eine zweistufige Zugangsregelung, eine der beiden Stufen kann aber mit ein wenig Allgemeinwissen über das verwendete System überbrückt werden. Die zweite Stufe ist ein herkömmlicher Login mit Benutzername und Passwort. Der Hersteller liefert die Anlagen mit einem Standard-Login aus.

Statt diesen Standard-Login beim Einsatz der Ampeln sofort zu ändern, wird von den Mitarbeitern der Straßenbaufirmen und Bauämtern jedoch der Standard-Login verwendet (in etwa: Benutzername=Admin, Passwort=1234).

Kurz: Die Ampeln lassen sich von jedermann mit ein paar technischen Grundkenntnissen umprogrammieren. Eine spezielle Kenntnis der Ampelanlage ist nicht erforderlich, dafür sorgt die ausgefeilte Benutzeroberfläche, wenn man einmal im System ist.

Die Mitarbeiter der Firma, die diese Baustellenampeln entwickelt, haben sehr gute Arbeit geleistet und eine sehr leistungsfähige Programmierbarkeit geschaffen mit SMS- und E-Mail-Benachrichtigung im Fehlerfall und sonstigen Schikanen. Aber das Thema Sicherheit wurde nicht sorgfältig durchdacht. Das Thema ist ein eigenständiger Aspekt, der in allen Belangen der Entwicklung mitberücksichtigt werden muss.

Ein solches ständiges Mitdenken lässt sich nicht verordnen, sondern hängt von der Bereitschaft der Mitarbeiter ab, ein paar Extrameter zu gehen. Und das wiederum hat mit der Firmenkultur zu tun. Die Mitarbeiter gehen den Extrameter nur, wenn sie in ihrer Arbeit, in ihrer Firma und den Werten die diese Firma nach innen kommuniziert, einen Sinn sehen. Sehen sie diesen Sinn nicht, geschehen innere Kündigungen, Dienst nach Vorschrift etc.

Absturz wegen innerer Kündigung?

So könnte man den A 400 M-Absturz interpretieren. Der Absturz erfolgte aufgrund einer falschen Software-Version in der Triebwerksteuerung. Zitat aus der WELT:

Wie es in Branchenkreisen heißt, war das Programm für die vier Triebwerke nur bei drei Triebwerken korrekt aufgespielt. Jedes Triebwerk wird von zwei Computern gesteuert, auf die jeweils die Software geladen werden muss. Der Fehler blieb jedoch unbemerkt und wurde von den Systemen nicht angezeigt. „Die Lampe stand auf Grün“, heißt es. Im Fehlerprotokoll nach dem Bodentest tauchte nur ein „unspezifisches Problem“ auf. Daraufhin habe ein Spezialist aus der Endmontage den Vorschriften entsprechend die Triebwerkssoftware neu geladen. Allerdings fehlten diesmal die technischen Basisdaten von drei Triebwerken – was ebenso unbemerkt blieb. Dies hatte fatale Folgen.

Normalerweise verfügen solche Systeme über ein Konfigurationsmodul, das bei unerlaubten Konfigurationen den Start verweigert. Unerlaubt sind alle Kombinationen von Systemteilen, die nicht explizit miteinander getestet worden sind. Das System hätte erkennen müssen, dass die Version der Triebwerksteuerung und der Basisdaten inkonsistent ist – vorausgesetzt, die Mitarbeiter pflegen die Konfigurationen entsprechend.

Der Absturz hat eine Vorgeschichte. Wegen des Zeitdrucks und der anhaltenden Probleme bei der Fertigstellung wurde kurz vor dem Unfall das gesamte Management in Sevilla ausgetauscht – dem Standort, an dem die Maschine getestet wurde. Es ist anzunehmen, dass die Mitarbeiter nebst ihrer Arbeit auch noch ein paar andere Probleme zu lösen hatten. Mit dem Austausch des Managements geht meist ein Change-Prozess einher – es soll sich ja alles schnellstmöglich „zum Besseren“ wenden. Aber solch ein Change-Prozess hat tiefgreifende Auswirkungen auf die tägliche Arbeit der Ingenieure, Techniker, Mechaniker, Aushilfskräfte etc. Diese Auswirkungen kann und sollte man systematisch professionell begleiten.

Qualitätsmanagement erzeugt nicht notgedrungen Qualität

Zurück zu Airbus: Man erkennt noch tiefgehendere Sinnkrisen darin, dass zwar laut Vorschrift Konfigurationstabellen existieren müssen, diese aber ganz offensichtlich nicht gepflegt oder außer Kraft gesetzt wurden. Aus meiner Erfahrung aus der Medizintechnik schließe ich, dass diese Pflege durch die Entwickler der Triebwerksteuerung erfolgen und dann vom QM unabhängig geprüft werden müsste. Das sind nicht die Leute von der Endmontage, die die Software aufgespielt haben. Die sollten sich darauf verlassen können, dass das Konfigurationsmodul richtig arbeitet.

Mein Gedanke läuft auf folgendes hinaus: Der QM-Prozess wurde eingehalten, aber eben nur formell. Der Prozess wird nicht gelebt und produziert daher keine Qualität. Das ist eine Frage der Firmenkultur. Die zentrale Frage dabei ist: Können sich die Mitarbeiter mit ihrer Tätigkeit identifizieren?

Sieht man sich den Verlauf der A 400 M-Entwicklung an, erkennt man erhebliche Mängel der Firmenkultur. Dass Entwicklung und Fertigung über Europa verteilt stattfinden, halte ich nicht per se für ein Qualitätsrisiko. Im Gegenteil: Es schauen immer wieder andere Leute auf die Entwicklungsschritte und können ggf. Mängel erkennen.

Wenn ich an dieser Stelle einmal spekulieren darf, würde ich sagen, dass der große Einfluss der Politik auf das Tagesgeschäft bei Airbus eine Rolle dabei spielt. Stichwort: Überzogene politische Forderungen. Hier wären wir dann wieder bei Projekten, die unter starker politischer Einflussnahme grandios gescheitert sind, wie dem BER.

Systematische Entwicklung der Firmenkultur

Jede Firma sollte sich neben ihren Kernaufgaben systematisch mit Fragen der Firmenkultur, der Resilienz und der Softskills auseinandersetzen. Es gibt kaum Ausbildungsmöglichkeiten in dem Bereich, aber es lassen sich Quereinsteiger finden, die Kenntnisse in diesem Bereich aufweisen, die sich durch geeignete Schulungsmaßnahmen ausbauen lassen. Die Firmenleitung muss das selbst voranbringen oder mindestens unterstützen, wenn engagierte Mitarbeiter Kompetenz im Bereich der Firmenkultur aufbauen.

Personen, die für die Entwicklung der Firmenkultur eingestellt werden, verfügen idealerweise über Kenntnisse der Kommunikationsschulung, des Konflikt-Managements, des Change-Managements, des Gesundheits-Managements und qualitätssichernden Prozessen. Sie müssen in den einzelnen Bereichen keine Experten sein, sollten aber in der Lage sein, diese Themen zu einem Gesamtkonzept zu verbinden.

Wer das Thema im Austausch vertiefen möchte, kann gerne Kontakt mit mir aufnehmen.

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